Vom „French Leave“ und „Irish Goodbye“

Hat der Brexit ein Wort für eine ungute Art des Abschieds hervorgebracht? Es stünde in guter Tradition.

Stimmt es, dass die Russen ein neues Verb namens „breksit'“ erfunden haben? In den sozialen Medien machte das Gerücht zuletzt die Runde: Das neue, vom britischen Brexit inspirierte Wort bedeute „sein Gehen ankündigen und dann doch nicht gehen“.

Recht plausibel klingt sie ja, die Nachricht vom russischen Neologismus; die Endung „it'“ ist auch die einer russischen Infinitivform. Tatsächlich zeigt eine Recherche in den sozialen Netzwerken jedoch, dass das Gerücht offenbar Ergebnis eines Scherzes ist: Möglicherweise werde ja in Russland ein neues Verb aufkommen, witzelte ein Twitter-User, das ausdrücke, dass etwa ein Besucher längst im Vorzimmer stehe und nicht und nicht gehen wolle. Durchaus möglich, dass sich für ein solches Verhalten das Wort „breksit'“ tatsächlich noch verbreitet, bis dato ist das nicht der Fall.

Es würde sich in eine Tradition einschreiben: Schon seit Jahrhunderten gibt es nämlich eine wenig schmeichelhafte Abschiedsbezeichnung, die zugleich ein nicht allzu geliebtes (Nachbar-)Land aufs Korn nimmt. Je nach Sprache ein anderes.

Wenn sich jemand grußlos davonstiehlt, vielleicht sogar in böser Absicht, dann nennt man das in den USA zuweilen „Irish Goodbye“ oder im Deutschen „sich auf Polnisch“ oder „auf Französisch verabschieden“. Die Inspiration für Letzteres lieferten offenbar die Engländer, sie kennen den „French Leave“, er lässt sich seit 1751 belegen. Die Franzosen wiederum sagen dafür „filer à l'anglaise“ – „auf Englisch verschwinden“. Und einige Nationen wie etwa die Russen sind ihnen gefolgt. Wer von den beiden Erbfeinden, England oder Frankreich, hat hier wohl wen gekontert, wer hat zuerst den Abgang durch die Hintertür als Charakterfehler der feindlichen Nation dargestellt? Das ist historisch nicht ganz klar. Vielleicht doch die Franzosen, ihre Redewendung „filer à l'anglaise“ könnte seinen Ursprung im Wort „anglaiser“ haben – das ebenfalls vom Wort für Engländer abgeleitet ist, aber „stehlen“ heißt.

Wie übersetzt man dann aber auf Englisch den Satz „Nous ne pouvons pas partir à l'anglaise“ (wörtlich „Wir können nicht auf Englisch gehen“) in Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“? In einer Fassung liest man: „We can't just slip away, English fashion“ – in einer anderen: „We can't take French leave.“ Der Übersetzer, der Letzteres schrieb, dürfte leicht geschmunzelt haben.

anne-catherine.simon@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.01.2019)

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