Der Wiener Tourismus jubelt über neue Rekorde, im Dezember waren die Zuwächse bei Nächtigungen zweistellig. Wann werden die Touristen in der Stadt zu viel? Wiens Tourismuschef plant einen Paradigmenwechsel.
Wien. 16,5 Mio. Gästenächtigungen von Jänner bis Dezember 2018, ein Plus von 6,3 Prozent. Wiens Tourismusdirektor, Norbert Kettner, spricht bei der Veröffentlichung der Jahresbilanz von einem „fulminanten Ergebnis“, mit einem Höhepunkt zum Schluss: Eine Zimmerauslastung von 85 Prozent katapultierte Wien im Dezember an die Europaspitze, das Nächtigungsplus betrug 15,8 Prozent (auf 1,63 Millionen Nächtigungen).
Wien liegt im Gesamtjahr deutlich über dem Europaschnitt – aber während das anderswo eine Sensation wäre, ist man derlei Rekorde in Wien gewohnt. Noch sorgen die auch für Freude – getrübt nur durch die Frage, wie lange noch, man denke an Hallstatt oder Venedig (siehe dazu Seiten 26/27) und die Debatte um „Overtourism“, das Überranntwerden zulasten der Bewohner.
1. Woher kommt das Plus, und wie geht es heuer weiter?
Wien zieht an – 2018 lag das besonders, so Kettner, an einem „ausgezeichneten Kongressjahr“, auch die EU-Ratspräsidentschaft habe dazu beigetragen. Zuwächse gab es bei so gut wie allen wichtigen Herkunftsländern. Auffällig hoch waren die Zuwächse bei Chinesen (plus 15 Prozent), Italienern, Spaniern und Briten (ebenfalls zweistellig). Rückgänge gab es nur bei Touristen aus Brasilien und der Türkei. Bei den Türken liege das vor allem daran, dass kaum mehr Visa für Österreich ausgestellt werden. Auch aus diesem Grund und wegen der Wirtschaftslage wird Wien Tourismus die Marketingaktivitäten in der Türkei weitgehend einstellen. Die Entwicklung für 2019 ist noch schwer abschätzbar. Das hänge mit der sich abschwächenden Konjunktur und dem Brexit zusammen.
2. Rekord jagt Rekord – wie viele Touristen verträgt Wien noch?
Noch liegt die Zahl der Gästenächtigungen mit einem Verhältnis von acht zu eins (auf einen Bewohner kommen acht Gästenächtigungen) im Europa-Schnitt, sagt Kettner. Wann eine Schmerzgrenze erreicht ist, sei aber ohnehin eine individuelle Frage. Allerdings, die Nächtigungen sind nicht alles: Tagestouristen, die per Bus oder Schiff anreisen, zu den Hauptattraktionen geschleust werden und wenig Geld in der Stadt lassen, sind da nicht erfasst. Und gerade die Flusskreuzfahrten, die in Wien stoppen, boomen. Die Wiener sind von dem großen Andrang offenbar noch nicht genervt: Das geht jedenfalls aus einer aktuellen Umfrage hervor, die Wirtschaftsstadtrat Peter Hanke (SPÖ) zitiert: Demnach stehen 94 Prozent der Hauptstadtbewohner der Situation positiv gegenüber.
3. Masse oder Luxus: Wie sieht die langfristige Strategie aus?
Die Paradigmen wandeln sich, so Kettner, auch in Wien: Bisher standen die Interessen der Touristen im Fokus, um mehr von ihnen anzuziehen. Zunehmend wird er aber auf die Destination gelegt. Erfolg einer Stadt im Tourismus soll also nicht mehr nur an den Nächtigungszahlen gemessen werden. Tourismus werde zur „visitor economy“: Es gehe darum, wie gut Besucher in die Stadt integriert und über die Stadt verteilt werden können. Mit Fokus darauf arbeitet man bei Wien Tourismus aktuell an der Strategie 2025, die im Herbst präsentiert werden soll. Zwei Leitmotive seien „stay cosmopolitan“ und „premium forever“. Zweiteres bedeute keinen Fokus auf Luxus, aber schon jetzt zeigt sich, dass der Anteil der Gäste in Vier- und Fünfsternhotels steigt. Diese Gäste, die mehr Umsatz bringen, stehen im Fokus.
4. Kommt Bewegung bei den Themen Airbnb und Sonntagsöffnung?
Diesem Plus bei Vier- und Fünfsternhotels gegenüber steht ein Minus in den unteren Kategorien: Ein- und Zweisternhotels sperren sogar zu, Kettner spricht von „Marktbereinigung“: Auch, weil Gäste auf die Sharing Economy umsteigen, also auf Airbnb und Co. Hier drängt Wien auf ein Zahlen der Ortstaxe. Die Verhandlungen über die geforderte Datenübermittlung an die Stadt, um die Abführung der Ortstaxe sicherzustellen, ruhen derzeit. Die Stadt werde hier konsequent bleiben, so Stadtrat Hanke. Bis Ende Jänner müsse Airbnb die geforderten Daten liefern, verstreicht die Frist, droht eine Verwaltungsstrafe.
Bewegung könnte auch in das Thema Sonntagsöffnung kommen. Wien Tourismus wünscht sie sich seit Langem. Am Mittwoch hat auch Hanke konstatiert, man solle zumindest diskutieren. Er deutete an, hier mit den Betroffenen das Gespräch zu suchen – schließlich gehe es um hohe Umsätze durch Touristen, die ins Ausland abfließen. Allerdings stellte Hanke klar, es sei nur eine Lösung mit den Sozialpartnern möglich. Wien könnte eine Sonntagsöffnung im Alleingang umsetzen, in Form von Tourismuszonen in Teilen der Stadt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.01.2019)