Irak-Video: Krieg in der Ära des Computerspiels

Krieg aera Computerspiels
Krieg aera Computerspiels(c) AP
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Was das "Wikileak"-Video vom US-Angriff übers Militärwesen verrät. Das Pentagon bedauerte am Mittwoch den Vorfall, bei dem auch zwei Reuters-Reporter starben, den Piloten könne jedoch kein Vorwurf gemacht werden.

Es tackert blechern. Menschen fallen um wie Kegel, verschwinden hinter Staubwolken. Am Ende liegen, so entnimmt man dem Funkverkehr, zwölf bis 15 Tote herum. Dabei hatte alles wie ein Computerspiel gewirkt, mit Fadenkreuz, flackernden, eingeblendeten Zahlen – allerdings „nur“ in Schwarz-Weiß.

Das von der Organisation „Wikileak“ publizierte Bordvideo eines US-Apache-Helikopters, der in Bagdad eine teils bewaffnete Gruppe von Männern mit seiner Kanone niedermäht, ist Tagesgespräch. Viele verstört die Kaltschnäuzigkeit, mit der die Piloten die Aktion kommentieren, andere sind von der Computerspielartigkeit gebannt, und wie der Apache scheinbar unbemerkt die Opfer beschattet.

Die Bordkamera des Apache filmt die Sicht des Piloten durch dessen Visier. So dokumentiert man Aktionen, kann taktische Lehren ziehen oder die Bilder etwa geheimdienstlich auswerten. Viele glauben, sie seien damals auch im entfernten Kommandozentrum live gesehen wurden; die scheinbare mediale Echtzeitdurchdringung des Kriegsgeschehens fasziniert sie.

Lauernde U-Boote

Indes: So neu ist das alles nicht, sondern erscheint meist nur moderner. Etwa das „Stalken“ der Opfer: Das taten schon Scharfschützen 1914, wenn sie ihre Feinde im Zielfernrohr verfolgten. Oder U-Boot-Kapitäne, die Schiffe im Periskop belauerten. Auch Opfer von Artillerie sahen die Haubitzen, die sie beschossen, meist nicht. Die sind viele Kilometer entfernt; die Daten, wie sie ihre Rohre ausrichten müssen, erhalten die Kanoniere etwa von Flugzeugen.

Der Blick durch ein Zielgerät hat stets etwas Computerspielhaftes an sich – aber es war der Blick auf die Welt durch das Visier, das die Darstellung im Computer geprägt hat, nicht umgekehrt; der Vergleich kam erst auf, seit es Games gibt.

Andererseits haben Computer und Techniken der Datenübertragung die Militärapparate speziell seit den 70er-Jahren stark verändert. Einst kommunizierten Kampftruppen untereinander und mit ihren Kommandostäben etwa mittels Meldern und Brieftauben. Der Informationsfluss war wenig anschaulich und langsam. In Kombination von Telefon und Funk mit Radar aber konnten die Briten in der Luftschlacht um England 1940 deutsche Geschwader sofort erkennen und ihnen Jäger entgegenschicken; da liefen Datenfluss und Reaktion schon fast in Echtzeit.

Information ist alles

Heute sind moderne Militärverbände über Systeme vernetzt, die auf Funk, Mikrowellen, Internet basieren. Für den Komplex des Informationsaustauschs steht das Akronym C4ISR („command, control, communications, computers, intelligence, surveillance and reconnaissance“). Das „Joint Tactical Information Distribution System“ ist ein US-Funknetz zwischen Luftwaffen- und Raketentruppen. Damit können sich alle Player, einfach gesagt, koordinieren. Modernes Militär ist keine Germanenkriegerhorde, sondern ein komplexes System von Befehlsketten. Jede Einheit erhält Befehle primär vom Stab der übergeordneten Einheit: der Zug von der Kompanie, die Kompanie vom Bataillon, etc. Von unten nach oben wird informiert, von oben nach unten befohlen – aber heute auch immer mehr informiert: Etwa, wenn einzelne Panzer vom Divisionsstab per Funk genauere Karten ihres Umfelds bekommen.

Nur die Piloten sahen zu

Was das Apache-Video betrifft, ist der Eindruck, die Bilder seien anderswo zeitgleich gesehen worden, trügerisch: „Echtzeit-Übertragung von Bildern ist extrem datenintensiv, das gibt's nur bei Drohnen, bei bemannten Flugzeugen nur sehr selten, etwa bei Sondereinsätzen“, so der Korrespondent des Militärfachblattes „Jane's Defence“ in Österreich, Georg Mader. Und so zeigt der Funkverkehr, dass die Piloten (sie waren ca. 1300 Meter vom Ziel entfernt, wie sich durch die Flugzeit der Geschosse ergibt) stets dem Kommando schilderten, was sie sahen. Erst dann die Bitte um Feuererlaubnis. Der totale Bilderfluss ist also nur in engen Grenzen real.

Das Pentagon bedauerte am Mittwoch den Vorfall, bei dem auch zwei Reuters-Reporter starben. Die Piloten dürften eine Kamera für eine Waffe gehalten haben. Freilich betonte das US-Militär, dass Aufständische oft Kameras benutzten, um Filme ihrer Aktionen ins Internet zu stellen; also könne man den Piloten keinen Vorwurf machen.

HINTERGRUND

„Wikileak“, eine NGO, hat das Bordvideo eines Helikopters publiziert, der viele Menschen im Irak (auch Journalisten) tötete. Die NGO verbreitet im Web Dokumente, die „die Wahrheit“ zeigen sollen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.04.2010)

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