Wird das Leben durch Ausmisten wirklich besser?

Ordnungscoaches gibt es schon länger, aber durch Marie Kondo und ihre Netflix-Serie bekommen sie derzeit mehr Aufmerksamkeit.
Ordnungscoaches gibt es schon länger, aber durch Marie Kondo und ihre Netflix-Serie bekommen sie derzeit mehr Aufmerksamkeit.Getty Images/EyeEm
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Dieser Tage wird überall fleißig aufgeräumt und ausgemistet – vielleicht sogar mit Hilfe von Ordnungscoaches. Aber wie hält man die neue Ordnung in der Wohnung, und wird dadurch das eigene Leben wirklich besser?

Die Kunden von Marie Kondo können sich glücklich schätzen. Eben hat eine Familie mithilfe der japanischen Aufräumexpertin ihr kleines Zuhause entrümpelt und strukturiert. Jetzt hat sie deutlich mehr Platz, alle Zimmer wirken größer. „Ich bin stolz“, sagt die Mutter sichtbar ergriffen. Die Episode der Serie „Aufräumen mit Marie Kondo“ (derzeit auf Netflix, siehe unten) ist damit zu Ende. Doch der Zuseher bleibt unweigerlich mit ein paar Fragen zurück: Wie lange wird die Familie die Ordnung halten können? Wie lange das Ikea-Katalog-Gefühl bleiben? Und wird sich das Familienleben danach wirklich so viel bessern, wie Kondo es in ihren Büchern verspricht?

Ordnung halten, sauber machen, ausmisten – und damit das Versprechen auf ein besseres Leben. Seit ein paar Jahren nehmen immer mehr Menschen die Dienste von Ordnungscoaches in Anspruch – oder lesen Bücher dazu. Allen voran die von Marie Kondo, die mit ihrem Bestseller „Magic Cleaning“ und ihrer Kon-Mari-Methode wohl wirklich ganze Haushalte geändert hat (siehe rechts). Die verschiedenen Methoden funktionieren alle nach einem ähnlichen Prinzip: Kunden müssen sich bei jedem Stück fragen, ob ihnen das Teil Freude bereitet – und ob sie es brauchen. Sonst muss es weg.

Ordnungscoaches gibt es mittlerweile auch in Österreich mit wachsendem Kundenstamm. Regina Halbauer hilft etwa seit drei Jahren als „die Schrankflüsterin“ Menschen, ihre Habseligkeiten neu zu ordnen. Die 56-jährige gelernte Schneiderin und Mutter zweier Söhne suchte nach deren Auszug einen Job, den sie wirklich liebt. Als sie einer Freundin beim Umzug half, war der Grundstein gelegt – auch wenn sie zu Beginn ziemlich viel Erklärungsbedarf hatte, was sie denn da so mache.

Mittlerweile hilft Halbauer, die in Wien und Umgebung tätig ist, beim Ordnen der Wohnung, von Dachböden, des Kellers oder im Büro. Auch sie beginnt zuerst einmal mit dem Ausmisten und damit, dass sich Kunden bei jedem Stück fragen müssen: „Liebe ich es oder brauche ich es?“ Manche können das Loslassen besser als andere. In ihrem Job, sagt Halbauer, muss sie daher genau beobachten und gut zuhören. „Wenn wer sagt, das kommt auf gar keinen Fall weg, dann bleibt es auch. Aber wenn jemand beim Aussortieren zögert, dann frage ich sofort nach.“

Ein emotionales Problem

Der Anfang sei immer das Schwierigste, weswegen Halbauer tunlichst emotional aufgeladene Bereiche wie ganz oft Bücher (siehe auch Artikel auf Seite42) erst zum Schluss bearbeitet. Von Kleidungsstücken können sich die Kunden – die meisten sind Frauen – oft leichter trennen. Geht das auch schwer, kann es schon mal sein, dass sie mit dem Ausmisten von Plastikersackerln beginnt. „Wobei mir mit der Abschaffung des Plastiksackerls irgendwie das Argument ausgeht, weil die brauchen sie jetzt vielleicht doch noch“, scherzt sie.

Für ihre Arbeit braucht sie Fingerspitzengefühl. Einmal musste sie eine Frau beraten, die die Sachen ihrer verstorbenen Mutter bei jedem Umzug mitnahm, ein anderes Mal entrümpelte sie mit einer Kundin einen Dachboden und fand dort alte Zigarettenschachteln, die diese partout nicht wegschmeißen wollte. Es stellte sich heraus, dass die ihr verstorbener Mann gesammelt hat. Wieder ein anderes Mal hatte eine Frau 40 Jogginganzüge, – sie reduzierten die Anzüge auf zehn. „Man braucht eigentlich nicht viel“, ist Halbauer überzeugt. Einmal fand sie in einem Haushalt sieben Siebe – für jede Knödelart eines. Klar, dass nicht alle bleiben konnten.

Oberflächen müssen frei sein

Damit eine Wohnung ordentlich aussieht, müssen „die Oberflächen frei sein, der Fußboden, die Fensterbänke und jedes Ding sollte seinen Platz haben. Dann habe ich eine Grundordnung.“ Danach gilt es, Dinge, die benützt werden, sofort wieder wegzuräumen.

Ob ihre Kunden die einmal hergestellte Ordnung auch halten können, könne sie trotzdem nur schwer sagen. Die, die sie über einen längeren Zeitraum begleite, schon, „aber nur mit einem einmaligen Einsatz ist das nicht getan.“ Immerhin handle es sich um eine Verhaltensänderung. Und das heißt, nicht nur alles wieder an seinen Platz zurückgeben, sondern auch schauen, dass nicht wieder zu viel an Kram ins Haus kommt. „Eigentlich sollte für jedes neue Teil ein altes gehen.“ Bei Schuhen, sagt sie mit einem Zwinkern, falle das auch ihr schwer.

Dass es ihren Kunden besser geht, wenn sie einmal ausgemistet haben, davon ist sie überzeugt. „Wenn man etwas hergibt, schafft man Platz für Neues.“ Eine Kundin hat nach einer Aufräumaktion einmal 2500 Euro durch ein Rubbellos gewonnen. Eine andere 100 Kilo Pizzamehl, wobei sie nicht wisse, was diese damit gemacht habe.

Für Ordnungscoach Katrin Miseré aus dem 2. Bezirk (Katrin-schafft-Platz) geht es vor allem darum, dass die Menschen lernen, Entscheidungen zu treffen – zuerst beim Ausmisten, aber auch danach, um Ordnung zu halten. Was sich in einem Haus ansammle, das sei „die Summe der nicht getroffenen Entscheidungen“, erklärt die Mutter zweier Söhne, acht und neun Jahre alt. Weswegen sie Kunden schon einmal alle zwei Wochen für je fünf Stunden am Tag ein Jahr lang begleite. „Wenn wer 25 Jahre nicht ausmistet, dann sammelt sich alles Mögliche an.“

Leben im Hier und Jetzt

Miseré hat sich bereits 2012 als Ordnungsberaterin selbstständig gemacht. Auch sie beginnt mit dem Ausmisten, weil „Ordnung funktioniert immer dann nicht, wenn man für seinen Platz zu viele Dinge hat“. Viele ihrer Kunden hätten Angst, sich von Dingen zu trenne, weil sie diese doch noch brauchen könnten. „Ich frage dann immer: Was ist das Allerschlimmste, was passieren kann?“ Meistens sei die Antwort, dass man wieder etwas kaufen müsse. Was im Nachhinein gar nicht so schlimm sei.

Emotionale Bindung zu Stücken kennt freilich auch sie. „Es ist die Angst, dass, wenn ich etwas weggebe, ich mich auch als Person auflöse.“ Was freilich nicht stimme. „Was mir auffällt: Viele sind in der Vergangenheit oder der Zukunft verhaftet. Aber es ist ganz wenig der Fokus, wie es jetzt sein soll.“ Weswegen sie im Übrigen empfiehlt, das gute Geschirr gleich zu benützen und nicht aufzuheben.

Ihren Kunden versucht sie zu vermitteln, dass Ordnung als ein Prozess angesehen werden muss. Das heißt, wenn jemand Hunger hat, dann ist der Prozess erst beendet, wenn alles wieder weggeräumt ist, und nicht, wenn jemand gegessen hat.

Grundsätzlich sei das Schaffen von Ordnung auch die Möglichkeit, sich selbst besser kennenzulernen. „Man lernt zu wissen, was man wirklich braucht – und auch einmal Nein zu sagen. Ich brauche nicht, was die Wirtschaft sagt.“

Gegen Impulskäufe

Das Neinsagen, sei auch wichtig beim Dauerhaft-Ordnung-Halten. „Von selbst kommt ja nichts ins Haus.“ Sie selbst geht übrigens ganz oft in Geschäfte, ohne etwas zu kaufen. „Wenn ich wirklich etwas will, kaufe ich es am nächsten Tag.“ So entkommt sie Impulskäufen.

Wie man die einmal geschaffene Ordnung hält, dazu hat Ordnungscoach Jutta Klein aus der Schweiz in ihrem Buch „Diamond for Life“ ein ganzes Kapitel geschrieben. Sie arbeitet nach der 4-C-Methode (Cut, Clarity, Carat, Color), die sie selbst entwickelt hat. Carat steht für Gewichten/Verinnerlichen – und ist für sie eines der wichtigsten Kapitel im Buch. „Verhaltensänderung ist Kopfsache“, schreibt sie darin – und die müsse trainiert werden. Klein hat dafür das Bild von Ordnungsinseln entwickelt. Das sind fünfminütige Zeitslots, die man sich jeden Tag nehmen soll (wie viele, entscheidet man selbst) und in denen man bewusst wieder alles, was herumliegt, an seinen Platz räumt. Nach ein bis zwei Monaten sollte man das neue Handlungsmuster verinnerlicht haben.

Eine Herausforderung im Alltag

Der Carat-Punkt, schreibt sie in ihrem Buch, sei für viele Menschen der schwierigste Teil, weil es darum gehe, die Ordnung in den Tagesrhythmus zu integrieren. „Das ist wie bei einer Diät, da nehme ich auch wieder zu, wenn ich anschließend erneut zu viel Schokolade esse“, sagt Klein im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. Sie arbeitet daher auch viel an der Tagesroutine und dem Zeitmanagement der Kunden. Etwa „Termine mit sich selbst ausmachen und die auch einhalten. Oder Leerlaufzeiten nützen und, während der Wasserkocher kocht, die Spülmaschine einräumen.“ Trainiert man sich das an, sagt sie, gelingt das Ordnung-Halten vielen Menschen. Dann können sie sich auch auf Dauer an ihrer aufgeräumten Wohnung erfreuen.

Ordnung in Serie

Mit der Japanerin Marie Kondo begann die aktuelle Aufräumlust, zuerst schrieb die 34-Jährige ein Buch (das 2013 auf Deutsch erschien), seit dem Jahreswechsel zeigt Netflix ihre Aufräumtipps (auf Englisch: to declutter) als „Tidying Up with Marie Kondo“. Das ist allerdings eine ziemlich trockene Sache. Viel unterhaltsamer sind sogenannte „Makeover“-Serien, die es bereits seit den späten 1990er-Jahren gibt und die nun wieder Konjunktur haben. Hier wird zwar auch aufgeräumt und ausgemistet, aber vor allem geht es darum, einer Person ein neues Styling zu verpassen.

„Queer Eye“ (auch Netflix) ist die aktuell lustigste Serie auf diesem Gebiet und die Neuauflage der TV-Reality-Show „Queer Eye for the Straight Guy“ (2003), die erneut mit dem Stereotyp spielt, dass homosexuelle Männer ein besseres Gefühl bei Mode, Körperpflege und Inneneinrichtung haben. Jede Folge beraten die sogenannten Fabulous Five einen Mann in Stil-, Ernährungs-, Design- und Körperfragen, das sind Antoni Porowski, Tan France, Karamo Brown, Bobby Berk und Jonathan Van Ness.

Weitere Empfehlungen für Serien und Dokus rund um das Thema „Wie ich mein Leben verändere“: „Minimalism“ (Netflix) ist ein Film aus dem Jahr 2016, in dem Menschen porträtiert werden, die sich dem Konsum entziehen. Die Serie „Consumed“ aus dem Jahr 2013 ist die weniger schicke (und weniger manierierte) Vorgängerin von Marie Kondo. Hier hilft Aufräumexpertin Jill Pollack Messies und Menschen, die auf dem Weg dorthin sind, beim Ausmisten. Die Doku „The True Cost“ (2015, Netflix) dreht sich um die Auswirkungen der Billigmodeindustrie, und „Expedition Happiness“ (2017, Netflix) ist die Geschichte eines Paars aus Berlin, das alles aufgibt und mit fast nichts in einem alten Schulbus durch die Welt tourt.

Ordnungscoach

Katrin schafft Platz. Katrin Miseré hilft Ordnung zu schaffen. Darüber bloggt sie auch. www.katrin-schafft-platz.at

Die Schrankflüsterin. Regina Halbauer organisiert Wohnungen, Büros, Keller etc. neu. www.dieschrankfluesterin.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.01.2019)

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