Experte: Dann drohen "bürgerkriegsähnliche Zustände" in Venezuela

APA/AFP/GUILLERMO ARIAS
  • Drucken

Der Politologe Tobias Boos schließt ein militärisches Eingreifen der USA nicht aus. Die alten und die neue Eliten Venezuelas ringen um die Macht, sagt Boos. Die Bevölkerung werde dazwischen zerrieben.

Venezuela ist seit Jahren von einer wirtschaftlichen, sozialen und humanitären Krise geplagt. Jetzt ist auch noch der Machtkampf um die Staatsführung zwischen dem sozialistischen Präsidenten Nicolas Maduro und der Opposition unter Führung von Parlamentschef Juan Guaido voll entbrannt.  Guaido hatte sich am Mittwoch selbst zum Präsident erklärt. Tobias Boos, Politologe an der Universität Wien, schließt auch ein militärisches Eingreifen der USA nicht aus. Das würde "bürgerkriegsähnliche Zustände" bedeuten.

Maduro spiele seit langem mit antiimperialistischen Rhetoriken. "Das Militär scheint noch hinter Maduro zu stehen", so der Politologe. Wobei es daran auch Zweifel gibt. Die Opposition im Land sei bekannt dafür, "keine friedliche Opposition" zu sein. Das löse in der Bevölkerung ebenfalls ein "maues Bauchgefühl" aus. "Wie es weiter geht ist unklar." Falls die Regierung Maduro die US-Diplomaten ausweist oder festsetzt, könnte es laut dem Experten zu einer militärischen Aktion der USA kommen.

Boos sieht einen Konflikt zwischen den maduristischen Eliten, die von Ölrenditen profitieren, und "Alten Eliten", die an die Macht wollen. Ein Teil der Opposition habe versucht, demokratisch zu agieren, ein anderer Teil greife zu Aktionsmitteln wie Aufständen. Im Hintergrund würden Maduros Vizepräsident Diosdado Cabello und die Opposition um Guaido entgegen den öffentlichen Äußerungen Verhandlungen führen. Diese liefen schon seit Jahren.

"Die Bevölkerung wird dazwischen zerrieben"

Beide Seiten würden jedenfalls klar die Macht beanspruchen und das nicht nur friedlich. Die Bevölkerung werde dazwischen zerrieben. Die Regierung Maduro habe schon länger nicht mehr die Unterstützung der Bevölkerung, sagt Boos. Auch würden sich viele fragen, wer ist der 35-jährige frühere Ingenieur Guaido, der mit seiner Partei Voluntad Popular (Volkswille) bisher im Hintergrund stand. Guaido hatte sich selbst zum Interimspräsidenten ernannt, diese Funktion sei aber in der Verfassung nicht vorgesehen. Zugleich gebe es große Vorbehalte gegen eine politische Intervention der USA.

Im Land gebe es eine kleine Opposition, die Bürgerplattform zur Verteidigung der Verfassung (La Plataforma Ciudadana en Defensa de la Constitucion), die ein Referendum zur Neuwahl der demokratischen Institutionen fordert. Derzeit seien diese "demokratiepolitisch fragwürdig", so Boos. "Ich zweifle daran, dass das realistisch ist, beide Seiten (derzeitige Regierung und Opposition, Anm.) bräuchten dazu einen politischen Willen." Wichtige Figuren hätten kein Interesse daran. Die Plattform sei Teil einer kleinen Opposition, die sich sowohl gegen die Regierung Maduros ausspricht, als auch betont, dass Guaidos Selbsternennung zum Präsidenten jeglicher Grundlage entbehre.

Generell gebe es eine geopolitische Neuorientierung und den Versuch einer neuen Ausrichtung in der Region. Die 2017 gegründete Lima-Gruppe lateinamerikanischer Länder, geführt von Brasilien, Argentinien und Kolumbien, nähere sich den USA politisch wieder an. Auch der Ölhandel spiele dabei eine große Rolle. Die Ölgeschäfte zwischen Venezuela und den USA seien nie abgebrochen. Venezuela exportiere Rohöl und importiere raffiniertes Öl. Maduro habe viele Ölfelder an internationale Firmen verpachtet oder verkauft, obwohl er gerade der Opposition einen Ausverkauf des Landes vorwirft. Viele der venezolanischen Elite lebten in den USA und seien dort gut vernetzt. Auch Guaido habe dort studiert.

Der Blick in die umliegenden Länder der Region führe bei der Bevölkerung laut Boos ebenfalls zu Unbehagen. Beim extremen politischen Rechtsschwenk in Argentinien, Kolumbien und Brasilien sei den Venezolanern unwohl. Brasiliens neuer Präsident Jair Bolsonaro habe ja auch zuerst im Land mutmaßliche Widersacher entfernt. Er hatte das im Wahlkampf angekündigt und nach Amtsantritt damit begonnen, Personen denen eine Nähe zur Arbeiterpartei nachgesagt wird, aus der Bürokratie zu entlassen.

Seit 2015 seien knapp mehr als zwei Millionen Venezolaner ausgewandert. "Aktuell verlassen viele Leute das Land. Das zu steigern wird schwierig", meint der Experte. Falls Maduro gestürzt würde, könnte das aber eine weitere große Bewegung auslösen.

(APA)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Außenpolitik

Venezuela: Maduro will reden - und bis 2025 regieren

"Ich bin bereit für Verhandlungen, ein Abkommen", sagte der autoritäre Staatschef Nicolas Maduro. Deutschland erwägt indes, seinen Rivalen Juan Guaido als
Präsidenten anzuerkennen.
López Obrador will vermitteln
Außenpolitik

Mexiko will in Venezuela vermitteln

Linker Präsident López Obrador bietet sich als Gastgeber für Gespräche zwischen Venezuelas Regierung und Opposition an.
Außenpolitik

USA wollen Maduros Finanzquellen austrocknen

Die Trump-Regierung nimmt Venezuelas Ölindustrie ins Visier.
Außenpolitik

Papst betet für Venezuela

Venezolanischer Kardinal fordert dazu auf, das Demonstrationsrecht zu respektieren.
Der Machtkampf in Venezuela hält an - am Bild: Demonstration gegen Nicolas Maduro
Außenpolitik

USA ziehen Diplomaten teilweise aus Venezuela ab

Staatschef Nicolas Maduro wirft den USA vor, einen "Staatsstreich" in seinem Land zu organisieren. Die Vertretung der Vereinigten Staaten, die den selbsternannten Übergangspräsidenten Juan Guaido unterstützen, rät ihren Bürgern zur Ausreise.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.