Familienbeihilfe: EU stellt Österreich an den Pranger

EU-Sozialkommissarin Marianne Thyssen geht mit Österreich hart ins Gericht.
EU-Sozialkommissarin Marianne Thyssen geht mit Österreich hart ins Gericht.REUTERS
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Die EU-Kommission leitet das Verfahren wegen der Indexierung des Kindergeldes ein. Wien wartet die Klage ab.

Brüssel/Wien. Die Befürchtungen der österreichischen Bundesregierung haben sich am Donnerstag bewahrheitet: Die Europäische Kommission leitet ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich wegen der zu Jahresbeginn in Kraft getretenen Reform der Familienbeihilfe ein. Die für die Materie zuständige Sozialkommissarin, Marianne Thyssen, sparte bei der gestrigen Verkündung der Disziplinierungsmaßnahme auch nicht mit Kritik: „Es gibt keine Arbeiter zweiter Klasse und keine Kinder zweiter Klasse in der EU.“ Die eingeführte Staffelung der Zahlungen sei „zutiefst unfair“.

Seit 1. Jänner wird die Familienbeihilfe in Österreich nicht einheitlich ausgezahlt, sondern indexiert – und zwar abhängig von dem Ort, an dem sich das Kind befindet. Für Kinder, die in Österreich leben, ändert sich nichts – für im Ausland lebende Kinder hingegen, deren Eltern in Österreich arbeiten, hängt die Höhe der Familienbeihilfe nun von den Lebenshaltungskosten und der Höhe der Leistungen vor Ort ab. Für Kinder, die beispielsweise in Belgien, Frankreich, Finnland oder der Schweiz leben, gibt es durch die Reform eine höhere Leistung. Für Familien in mittelosteuropäischen Ländern hingegen gibt es teils deutliche finanzielle Einbußen.

Empörung im Osten der EU

Genau diese Einbußen waren wohl der Hauptgrund für die Reform, die bereits in der letzten Koalitionsregierung SPÖ-ÖVP im Gespräch gewesen war. Denn die individuellen Mehrausgaben für den österreichischen Fiskus sind verschwindend gering – Schätzungen des Finanzministeriums zufolge erhalten seit Jahresbeginn nur rund 400 im Ausland lebende Kinder höhere Familienbeihilfen. Dem stehen rund 125.000 Kinder im östlichen Teil der EU gegenüber, bei denen der Sparstift angesetzt wird. Die meisten von ihnen – nämlich knapp 40.000 – leben im benachbarten Ungarn, gefolgt von der Slowakei mit gut 27.000 Kindern, Polen (knapp 15.000) und Rumänien (14.000).

Dass die betroffenen Unionsmitglieder die Angelegenheit nicht ruhen lassen werden, lag seit der Vorstellung der Regierungspläne im vergangenen Jahr auf der Hand. Insgesamt sieben EU-Mitgliedstaaten beschwerten sich in einem Brief an die EU-Kommission – Ungarn, die Slowakei, Tschechien, Polen, Bulgarien, Litauen und Slowenien. Die rumänische Regierung drohte zu Jahresbeginn mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof – die Regierung in Budapest schloss sich dieser Drohung an.

In Wien gibt man sich indes betont gelassen. „Es steht der Kommission frei, die Indexierung der Familienbeihilfe zu überprüfen. Wir gehen weiterhin davon aus, dass die von uns gewählte Lösung mit europäischem Recht vereinbar ist“, ließ Familienministerin Juliane Bogner-Strauß (ÖVP) gestern wissen.

Die Bundesregierung argumentiert auf Basis eines Gutachtens des Wiener Juristen Wolfgang Mazal, dem zufolge die Familienbeihilfe keine Versicherungsleistung, sondern eine einkommensunabhängige Sozialleistung sei, die dazu diene, die beim Großziehen der Kinder tatsächlich anfallenden Kosten teilweise abzugelten. Somit stelle die Indexierung auch keine Diskriminierung ausländischer Arbeitnehmer dar. Bogner-Strauß: „Sofern die Kommission sich nicht überzeugen lässt, obliegt es letztendlich dem Europäischen Gerichtshof, darüber zu entscheiden.“

Brüssel fordert Gleichbehandlung

Die Kommission sieht die Angelegenheit naturgemäß anders: Nachdem Arbeitnehmer in Österreich gleiche Beiträge ins nationale Wohlfahrtssystem einzahlen, müssen sie auch im gleichen Maß Beihilfen in Anspruch nehmen dürfen. „Der Umstand, dass die Lebenshaltungskosten in einem anderen Mitgliedstaat niedriger sind als in Österreich, ist für eine Leistung, die als Pauschalbetrag ohne Bezug zu den tatsächlichen Unterhaltskosten für ein Kind ausbezahlt wird, nicht relevant“, so die Brüsseler Behörde. Der Gleichbehandlungsgrundsatz verbiete jegliche mittelbare oder unmittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit.

Die gestrige Ankündigung ist nur ein erster Schritt. Als Nächstes wird die Kommission ein Mahnschreiben nach Wien schicken und binnen zwei Monaten eine Stellungnahme der Bundesregierung einfordern. Ist diese Stellungnahme nicht zufriedenstellend, gibt es seitens der Kommission eine formale Aufforderung zur Reparatur des Gesetzes. Erfolgt diese nicht, kann die Brüsseler Behörde eine Klage vor dem EuGH einbringen.

Dass die Angelegenheit derart brisant ist, hängt nicht nur mit der Anzahl der Betroffenen zusammen, sondern auch mit der Tatsache, dass die Indexierung der Familienbeihilfe von der EU-Kommission als direkter Angriff auf die Personenfreizügigkeit gesehen wird. In Brüssel befürchtet man, dass Einschränkungen der Personenfreizügigkeit einen Prozess der Entsolidarisierung einleiten könnten, der die gesamte EU destabilisiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.01.2019)

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