Gelbjacken treten bei EU-Wahl an

Spitzenkandidatin Ingrid Levavasseur ist ein politisch unbeschriebenes Blatt.
Spitzenkandidatin Ingrid Levavasseur ist ein politisch unbeschriebenes Blatt.APA/AFP/CHARLY TRIBALLEAU
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Die Protestbewegung Gilets jaunes will bei der Europawahl antreten und sorgt für unerwartete Konkurrenz für die Oppositionsparteien – was Präsident Macron mehr als recht ist.

Paris. Die Gelben Westen wollen es wissen: Die französische Protestbewegung kündigt an, eigene Kandidaten für die Europawahl im Mai aufzustellen. Es ist der bereits zweite Anlauf der Gilets jaunes – schon im Dezember hat der Chansonnier Francis Lalanne einen solchen Versuch unternommen, der vielleicht wegen der schillernden Persönlichkeit des Initianten ohne Echo blieb. Der jüngste aus den Reihen der Gelbwesten mit der Spitzenkandidatin Ingrid Levavasseur wird hingegen ernst genommen.

Levavasseur hat bestätigt, dass nach einer für alle offenen Ausschreibung bis Mitte Februar 79 Kandidatinnen und Kandidaten für eine Liste mit dem Namen Ralliement d'initiative citoyenne (Unterstützung der Bürgerinitiative) nominiert werden. Mit der Abkürzung RIC beansprucht diese Liste für sich eine der wichtigsten Forderungen der Gelbwesten, nämlich die Erweiterung der demokratischen Rechte mit einem Référendum d'initiative citoyenne (RIC), das es den Franzosen ähnlich wie in der Schweiz ermöglichen würde, neue oder vom Parlament bereits verabschiedete Gesetzesvorlagen einer Volksabstimmung zu unterbreiten.

Zur Stoßrichtung der Liste sagt Levavasseur einen Satz: „Wir wollen uns nicht mehr den Beschlüssen europäischer Instanzen und dem Diktat von Eliten und Technokraten beugen, die das Wesentliche vergessen haben: den Menschen, die Solidarität und den Planeten.“ Das ist noch kein Programm. Laut der Spitzenkandidatin soll aber allein schon die Selektion der Kandidierenden dafür sorgen, dass die soziale und politische Vielfalt der Bewegung und die Geschlechterparität respektiert würden.

Die 31-jährige Pflegerin aus der Normandie ist ein politisch unbeschriebenes Blatt. Sie hat sich von Beginn weg in Pont-de-l'Arche im ländlichen Departement Eure an den Aktionen beteiligt, wo die redegewandte Rotblonde den Medien bald als Wortführerin auffiel. In der Folge wurde sie in Rundfunk- und Fernsehstudios eingeladen. BFM-TV hat ihr sogar einen Job als Talkmasterin angeboten. Trotzdem gilt sie nicht als eine der Prominentesten in den Reihen der Gilets jaunes, die sich bisher nicht in einer Organisation oder mit einer landesweiten Koordination zu strukturieren vermochten, sondern sich im Gegenteil immer mehr in internen Streitereien spalten.

Platz drei in Umfragen

Es steht nicht fest, ob die Wahlliste tatsächlich zustande kommt und ob sie als Einzige den Anspruch erheben kann, die Gelbwesten zu repräsentieren. Eine erste Umfrage gibt Rückendeckung: Levavasseurs Liste käme hinter der Präsidentenpartei La République en marche (LREM) mit 22,5 Prozent und dem rechtspopulistischen Rassemblement nationale (RN) von Marine Le Pen mit 17,5 Prozent vom Stand weg mit 13 Prozent auf den dritten Platz. RIC wäre damit deutlich vor den Konservativen (Les Républicains) und der linken France insoumise (FI). Die Gelbwesten-Liste würde laut Politologen einerseits viele Wähler anziehen, die sonst nie oder nicht mehr wählen gehen, vor allem aber die Parteien am rechten und linken Rand des politischen Spektrums Stimmen kosten. Entsprechend zurückhaltend bis ungehalten haben linke und rechte Oppositionspolitiker auf die Aussicht einer Konkurrenz durch Gelbwesten reagiert.

Dass nicht er, sondern im Gegenteil seine ärgsten Gegner durch Stimmen für eine Liste der Protestbewegung geschwächt werden, müsste im Gegensatz dazu dem Präsidenten, Emmanuel Macron, nur recht sein. Seine Liste liegt in dieser Ausgangslage fast unbestritten in Führung. Natürlich käme es der Staatsführung auch gelegen, wenn die bisher unberechenbare und heterogene Bewegung dank einer Wahlbeteiligung in den rechtsstaatlichen Rahmen integriert würde.

Es verwundert bei dieser Betrachtung der Interessen nicht, dass die Ankündigung dieser RIC-Liste bei den Gelbwesten selbst sofort auf heftige Kritik stieß. Benjamin Cauchy, ein Wortführer der Bewegung, sieht „den Schatten von Bernard Tapie“ hinter einer Initiative, die angeblich bei einem Treffen auf Einladung des Ex-Financiers und Besitzers der Zeitung „La Provence“ in Marseille beschlossen wurde. Ein anderer bekannter Sprecher, Maxime Nicolle, ist viel schärfer in seiner Verurteilung: „Ich weiß nicht, wer dich gekauft hat, Ingrid. Aber du bist dabei, Hunderte und Tausende, die Vertrauen in dich gesetzt haben, zu verraten.“ Nicolle setzt auf die Straßenproteste und meint, mit Wahlen werde gar nichts verändert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.01.2019)

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Kommentare

Rendezvous mit der Realität für die Gilets jaunes

Gut, dass die Gelbwesten zur EU-Wahl antreten.

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