Venezuelas weltweite Sprengkraft

COLOMBIA-Protest gegen Maduro. Der Machtkampf in Venezuela hat sich massiv zugespitzt.-CRISIS-OPPOSITION-DEMO
COLOMBIA-Protest gegen Maduro. Der Machtkampf in Venezuela hat sich massiv zugespitzt.-CRISIS-OPPOSITION-DEMOAPA/AFP/JOAQUIN SARMIENTO
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Der Machtkampf in Caracas zwischen Machthaber Maduro und der Opposition droht in einen Bürgerkrieg zu kippen. Die Krise hat das Potenzial für eine Verstrickung der Großmächte.

Buenos Aires/Caracas. Rasend schnell hat sich der interne Konflikt in Venezuela, in dem seit den Großdemonstrationen in der Nacht zum Donnerstag zwei Präsidenten nebeneinander existieren, internationalisiert. Nur wenige Minuten brauchte US-Präsident Donald Trump, um Juan Guaidó, der sich zum Interimspräsidenten ausgerufen hatte, als legitimen Präsidenten anzuerkennen. Andere Staaten wie Kanada, Argentinien, Brasilien und die Mehrheit der lateinamerikanischen Länder taten es ihm gleich. Die EU trat in Person der Außenbeauftragten Federica Mogherini für Neuwahlen ein. Auf der anderen Seite formierte sich eine Allianz für den sozialistischen Präsidenten Nicolás Maduro. Bolivien, Russland, China, Nicaragua, Kuba sowie der Iran und die Türkei warfen sich für die bedrängte Regierung in die Bresche. Russlands Außenministerium warnte die USA vor einer Militärintervention. Und Präsident Wladimir Putin geißelte die „zerstörerischen Eingriffe“ von außen. Wie der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan rief auch Putin seinen Verbündeten Maduro an und bekundete dabei Solidarität.

Zwei Präsidenten sind ein Novum für Venezuela – und eines, das großen Sprengstoff birgt und das bereits mehr als Dutzend Tote gefordert hat. Der Machtkampf in dem ausgebluteten Land hat sich somit maximal zugespitzt. Guaidó begründet seinen Schritt mit zwei Artikeln der bolivarischen Verfassung, die den Parlamentspräsidenten als Chef einer Übergangsregierung vorsieht, falls die Staatsspitze verwaist ist. Das sei der Fall, weil die Wahl im Mai 2018 massiv manipuliert worden sei.

Die Ölgeschäfte der USA

Die leisere europäische Reaktion entspricht den diplomatischen Gepflogenheiten, nur solche Staatschefs offiziell anzuerkennen, die tatsächlich die Kontrolle über ihr Territorium ausüben. Trump hat indes einen riskanteren Weg eingeschlagen. Er nennt Maduro, der sein Land weithin im Griff hat, bereits offen einen Ex-Präsidenten. Maduro ordnete an, die Mitarbeiter der US-Botschaft sollten binnen 72 Stunden das Land verlassen. US-Außenminister Mike Pompeo stritt Maduro aber die Befugnis ab, US-Bürgern Befehle zu erteilen. Das Botschaftspersonal werde sich daher nicht zurückziehen. Wagt Maduro die völlige Konfrontation und die Festsetzung der US-Diplomaten?

Bisher hat Präsident Trump – offenbar aus Rücksicht auf die Interessen der US-Wirtschaft – darauf verzichtet, die Ölgeschäfte mit Venezuela zu unterbrechen. Bis heute fließt fast das gesamte venezolanische Öl – die tägliche Fördermenge ist von einst 3,4 auf 1,17 Millionen Barrel gesunken – in jene Raffinerien auf US-Boden, die auf die Verarbeitung des schweren venezolanischen Öls spezialisiert sind. Da Venezuela nach mehreren verheerenden Pannen kein Benzin mehr herstellen kann, muss es den Treibstoff aus den USA, dem „Imperio“, importieren. Venezuela bezieht die meisten Derivate für die Ölförderung aus den USA, monatlich etwa drei Millionen Barrel.

Drei Szenarien

Mit einem Boykott könnte Trump Venezuelas wichtigste Einnahmequelle ebenso austrocknen wie den Verkehr lahmlegen – und damit die gesamte Versorgung in Venezuela. Zudem könnte er Venezuelas Schuldendienst massiv belasten: Ein erheblicher Teil der Öleinnahmen fließt in die Bedienung der Verbindlichkeiten mit China und Russland. Ein US-Boykott hätte wohl erhebliche geopolitische Implikationen. Ein solcher Schritt würde Arbeitsplätze in den USA gefährden und die Rohölpreise antreiben. Donald Trump hält sich „alle Optionen“ offen, wie er bekräftigt. Eine militärische Intervention der USA und ihrer Verbündeten in Kolumbien und Brasilien wäre das wohl gefährlichste von drei Szenarien. Ein Krieg würde eine Massenflucht aus Venezuela auslösen und den gesamten Kontinent destabilisieren.

Optimal für das Land wäre es, wenn es gelänge, Maduro und seine Entourage zum freiwilligen Machtverzicht zu drängen. Dies bezweifeln freilich vor allem jene Kenner, die Maduro als Marionette Kubas ansehen. Das Regime in Havanna, dessen Agenten seit Jahren sämtliche Schaltstellen in Venezuela kontrollieren, müsste um sein Überleben bangen, falls Maduro fiele.

Wie reagiert das Militär?

Das dritte Szenario zielt auf jene Gruppe, die in Venezuelas Geschichte stets den Ausschlag gegeben hat: die 365.000 Mann starken Streitkräfte. Seitdem Juan Guaidó, der 35-jährige und bis dato unbekannte Oppositionsvertreter, Anfang Jänner die Präsidentschaft des Parlaments übernommen hat, verspricht er jenen Militärs Straffreiheit, die sich für die Rückkehr zum Rechtsstaat einsetzen.

Das Kalkül: Für Militärs, denen Maduro ebenso lukrative wie kriminelle Devisengeschäfte ermöglichte, könnte das Versprechen der Straffreiheit verlockender sein als die Aussicht auf weitere Repression eines ausgehungerten Volkes. Hinter den Kulissen laufen offenbar schon Gespräche zwischen Teilen der Armee und der Opposition.
Mehr als 150 Militärs wurden in den vergangenen Monaten unter Konspirationsverdacht verhaftet.

Zuletzt gab es kleinere Rebellionen, wie eine Meuterei von Nationalgardisten. Verteidigungsminister Vladimir Padrino versicherte Maduro aber am Donnerstag seine Loyalität. Noch steht steht der Sicherheitsapparat fest aufseiten Maduros und Venezuelas wohl tatsächlichem Inhaber der Macht: Überlebenskünstler Raúl Castro.

Botschaften in USA sollen geschlossen werden

Der venezolanische Präsident Nicolas Maduro will die venezolanische Botschaft und alle Konsulate in den USA schließen. Zu dieser Entscheidung sei er nach Abbruch der diplomatischen Beziehungen am Vortag gelangt, sagt er am Donnerstag. Er stimme zudem mit Mexiko und Uruguays Forderung nach einem Dialog zwischen der Regierung Venezuelas und der Opposition überein, um eine Lösung für die politische Krise zu finden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.01.2019)

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