Gedenktag: Wie die Überlebenden weiterleben

Die Kärntner Slowenin Katja Sturm-Schnabl (82) verbrachte drei Jahre in Lagern. Sie ist eine der letzten Zeitzeuginnen.
Die Kärntner Slowenin Katja Sturm-Schnabl (82) verbrachte drei Jahre in Lagern. Sie ist eine der letzten Zeitzeuginnen.(c) erinnern.at
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Es gibt immer weniger Zeitzeugen, die über den Schrecken der NS-Zeit erzählen können. Eine neue Plattform macht ihre Geschichten Schülern und der Öffentlichkeit zugänglich.

Wien. Es ist ein Moment, an den sich Katja Sturm-Schnabl noch genau erinnert – auch wenn er inzwischen beinah 80 Jahre zurückliegt: Der, als plötzlich zwei lärmende Männer türenschlagend durch den elterlichen Bauernhof in Zinsdorf/Svinča vas liefen, um zu kontrollieren, ob Hitler-Bilder an den Wänden hingen. Dieses grobe Eindringen, das Sturm-Schnabl als junges Mädchen so erschütterte, dass ihre Schilderung bis heute Gänsehaut erzeugt, sollte lediglich das Präludium des Schreckens sein.

Wenig später, 1942, wurde sie mit ihrer und zahlreichen anderen slowenischen Familien in Kärnten von den Nationalsozialisten ins Lager Ebenthal bei Klagenfurt deportiert. Das abrupte Ende der glücklichen, freien Kindheit der damals Sechsjährigen. Es folgten drei Jahre in verschiedenen Lagern, bis Sturm-Schnabl mit ihren Eltern in ihren Hof zurückkehren konnte – in einen Ort, der nach wie vor von Feindseligkeit gegenüber den slowenischen Mitbürgern geprägt war.

200 Stunden Videomaterial

Katja Sturm-Schnabl wird in drei Wochen 83 Jahre alt. Die Literaturhistorikerin und Sprachwissenschaftlerin ist einer von immer weniger Menschen, die als Zeitzeugen davon erzählen können, wie der Schrecken des Nationalsozialismus sie ganz persönlich betroffen hat, aus welchem Leben er sie gerissen hat und in welches Leben sie nach 1945 hineingeworfen wurde. „Der direkte Kontakt mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen wird auf lange Sicht nicht mehr möglich sein“, sagt Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP). „Das ist ein demografisches Faktum.“ Aus diesem Grund lässt nun eine neue Plattform Überlebende des Holocaust per Video zu Wort kommen.

Bisher 68 Interviews mit Zeitzeugen sind aktuell auf der Website weiter-erzaehlen.at zu finden – insgesamt also rund 200 Stunden Videomaterial. Nicht nur Materialien aus Österreich sind dort abrufbar, auch Aufnahmen aus US-amerikanischen Beständen werden damit erstmals einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht – genauso wie ein Gespräch mit Gideon Eckhaus, der später maßgeblich an den Restitutionsverhandlungen mit Österreich beteiligt war und dessen Geschichte erstmals in voller Länge zu sehen ist.

Jede der Überlebensgeschichten sei sorgsam kuratiert und aufbereitet worden, sagt Werner Dreier vom Verein Erinnern.at des Bildungsministeriums. Auch Mini-Dokumentationen, die sich speziell an Schülerinnen und Schüler richten, gibt es auf der neuen Website. Ebenso wie Unterrichtsmaterialien für die Arbeit mit den Zeitzeugenvideos oder einen speziellen Schwerpunkt zum Holocaust-Gedenktag morgen, Sonntag.

„Wenn wir aus der Geschichte lernen wollen – und ich denke, das sollte regierungspolitisches Ziel sein –, dann muss die aktive Erinnerungspolitik integrativer Bestandteil schulischer Ausbildung sein“, sagte Faßmann, der als eines der beeindruckendsten Erlebnisse seiner Ministerzeit das Treffen mit dem 95-jährigen Holocaust-Überlebenden Zwi Nigal beschrieb, der im November seine frühere Schule in Wien besuchte und dort über sein Leben vor, während und nach der Nazi-Herrschaft erzählte.

Die Botschaft, die er von den Erzählungen dieses Zeitzeugen mitgenommen hat, formulierte der Minister deutlich: „Ich denke, dass wir damals alle den Festsaal verließen mit dem inneren Versprechen, auf Antisemitismus, Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit mit großer Sensibilität zu achten und dagegen aufzutreten.“

Die Menschen nicht vergessen

Auf der neuen Plattform abrufbar ist auch die Lebensgeschichte von Katja Sturm-Schnabl: dreieinhalb Stunden, vom Aufwachsen am elterlichen Hof über die Deportation bis zu ihrem Leben in Wien, wo sie an der Universität arbeitete. „Es ist vielen Menschen noch viel Ärgeres passiert“, sagt die 82-Jährige an der Seite von Faßmann. „Ich muss immer noch an die denken, die nicht zurückgekommen sind, an die, die ermordet wurden.“ Unter ihnen ihre ältere Schwester Veronika, die Opfer der NS-Euthanasie wurde. „Ich kann diese Menschen auch heute nicht vergessen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.01.2019)

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