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Pfronten: Mit dem Schlitten geht's ins Stroh

Themenbild: Hörnerschlitten-Fahrt mit Pauken und Trompeten
Themenbild: Hörnerschlitten-Fahrt mit Pauken und Trompeten Getty Images
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In Pfronten im Allgäu werden alte Hörnerschlitten nicht nur gebaut, sondern alljährlich auch beim Schalenggenrennen ausgefahren – bis an ihre Grenzen.

Der Schlitten überschlägt sich, einer der Fahrer bremst mit der Brust voran und rutscht so die letzten Meter auf der schneebedeckten Piste hinunter ins Ziel. Ein anderer legt einen Salto hin und landet dann im Stroh. Junge Kerle, die sich vorher mit ein bis zwei Bier Mut angetrunken haben, rasen mit besonders hohem Karacho in die kreuz und quer liegenden Strohballen, die Helfer immer wieder neu drapieren. Rund 5000 Zuschauer stehen am schneebedeckten Kreuzle-Hang im Pfrontener Ortsteil Kappel und schauen sich das Spektakel an.

Seit zwölf Uhr brausen die ersten Hörnerschlitten, in Pfronten Schalengge genannt, die Fahrrinne hinab. Immer wieder jubelt und lacht das Publikum, flotte Sprüche vom Stadionsprecher beschallen das Event. Doch ganz ohne ist es nicht. Von unten wirkt die Piste zwar harmlos, doch weiter oben befindet sich eine Art Schanze, und auch das lange gerade Gefälle am Schluss wird gern unterschätzt. Oder anders formuliert: Wer den Schlitten zu spät bremst, hat am Ende der Strecke noch viel Tempo übrig. Wobei Teilnehmerinnen ihre Geschwindigkeit bereits länger vor dem Ziel per Fußbremse drosseln. Darunter auch die Pfrontener Bürgermeisterin, Michaela Waldmann, die mit ihrer österreichischen Kollegin Waltraud Zobl-Wiedemann aus der direkt angrenzenden Nachbargemeinde Schattwald die Strecke von etwa 1000 Metern und eine Höhendifferenz von rund 200 Metern auf einer Schalengge gemeinsam bezwingt. Jeder Teilnehmer muss übrigens vorab unterschreiben, dass er oder sie auf eigene Gefahr fährt und: Nicht jeder trägt einen Helm.

Der Begriff Schalengge leitet sich laut Hanne Allgayer, Vorsitzende des Kappeler Schalenggar-Vereins, vom Verb schlenkern ab. Die 75-Jährige organisiert seit etlichen Jahren für den Verein das jährliche Traditionsereignis am Faschingssamstag. Eigentlich. Die zwei Jahre davor fiel das Rennen wegen Schneemangels aus. „Es braucht einen halben Meter, damit das Rennen stattfinden kann“, erklärt Allgayer. So trifft man während des Rennens Zuschauer, die zwar schon mehrmals ihren Skiurlaub in Pfronten verbracht haben, aber noch nie das Glück gehabt haben, das Schalenggenrennen sehen zu können. „Ich bin froh, dass es diesmal klappt“, erzählt eine Augsburgerin, die mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern zum zigsten Mal ihre Skiferien in Pfronten verbringt.

In Bundhose und Dirndl

Besonders sehenswert sind die Originale, die traditionell gekleidet (bei den Männern Kniebundhosen, Trachtenjacken und Pudelmützen, bei den Damen eher dirndlartig) mit den Schlitten die Piste hinabsausen. Sie sind deutlich langsamer als die wilde Jugend, dafür beladen mit Holz oder Heu und erinnern an den eigentlichen Zweck des Gefährts: nämlich im Winter Futter für Vieh und Brennholz, das die Bauern im Sommer in den Bergen gerichtet und gelagert haben, ins Tal zu transportieren. Rund drei bis vier solche Fuhren absolvierten die hart arbeitenden Menschen damals pro Tag, jede Schalengge stets mit zwei Personen besetzt. Bereits damals galt die Fahrt als ziemlich gefährlich, denn die Schlitten hatten weder Bremse noch Metallkufen, geschweige denn ein Lenkrad. Ein jeder war froh, wenn er den Arbeitstag wieder ohne einen Knochen- oder Schlittenbruch überstanden hatte.

Originale mit Hörnern

Stichwort Schlittenbruch: Eine Schalengge, vielleicht drei Meter hoch, steht zwei Tage nach dem Rennen in Andre Reicharts Hof wie ein Patient im Wartesaal. Die rechte Kufe ist zersplittert. „Den hat's an der Schanze zerrissen. Wenn da zwei Männer mit jeweils 100 Kilo draufsitzen, gerät der Schlitten gerade bei hoher Geschwindigkeit schnell an seine Grenzen“, erklärt Reichart.

Im Brotberuf Hausmeister, widmet der gelernte Wagner seine Leidenschaft der Kunst aus Holz: Lampenunikate aus besonderen Holzstücken und Skulpturen zieren die gesamte Werkstatt. Nur ein bis zwei Schlitten baut der 48-Jährige pro Jahr, diese aber dann konsequent in ihrer ursprünglichen Form – beim Schalenggenrennen sind ohnehin nur Hörnerschlitten in Originalbauweise zugelassen. Und wenn sie beim alljährlichen Rennen zu Bruch gehen sollten, kommen sie eben wieder zu ihm zurück.

Damit es beim Bewerb glatt läuft – im wahren Sinn des Wortes –, findet vor jedem Schalenggenrennen ein notwendiges und zugleich schönes Ritual statt: Am frühen Morgen trampeln Freiwillige den Schnee auf der Rennstrecke fest. Der Klimawandel macht natürlich auch vor der auf 850 Metern liegenden Gemeinde Pfronten nicht halt. In ihrer Kindheit sei der Schnee monatelang meterhoch gelegen, berichten Einheimische, mittlerweile unterstützen 25 Schneekanonen den Betrieb der drei Pfrontener Skigebiete.

Am schönsten ist das sonnig gelegene Skigebiet Breitenberg-Hochalpe mit seinen roten und blauen Pisten auf 1200 bis 1600 Metern Höhe. Auch wer nicht Ski oder Snowboard fährt, kommt hier zum Zug: Einfach bereits an der Talstation die Leihgebühr für eine Rodel entrichten, mit dem Sessellift hoch und dann die idyllische sechs Kilometer lange Rodelstrecke hinabbrausen. Ein bisschen Schalenggen-Feeling kommt an der einen oder anderen steilen Stelle durchaus auf.

RODELN IN PFRONTEN

Wohnen: Wildgrün Lodge: moderne Ferienwohnungen mit Aussicht, Sauna, Fitnessraum, Frühstücksservice, Kinder-
lift in der Nähe. http://wildgruen.bayern
Pension Alpenblick: gemütliche DZ/F mit viel Holz, zwei Vier-Sterne-Fewos, Sauna. www.goldstein-pfronten.de
Hotel Schlossanger: auf 1130 Metern, luxuriöser, Wellnessareal und Pool. www.schlossanger.de

Anschauen: Traditionelles Schalenggenrennen und Gaudirennen mit verkleideten Teams, 2./3. März. Zur Naturrodelstrecke geht's via Breitenbergbahn. www.breitenbergbahn.de

Ski fahren: Von den drei Skigebieten ist Breitenberg-Hochalpe das landschaftlich schönste und anspruchsvollste. Tipp: Königscard mit drei Stunden Liftticket inklusive. www.koenigscard.com

Infos: www.pfronten.de, www.kappelar-schalenggar.de

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.01.2019)

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