Der Ritterschlag für Noël

Ungewohnter Samstagstermin, eindrucksvolle Kulisse: Clément Noël fuhr auf dem Ganslernhang zu seinem zweiten Weltcupsieg.
Ungewohnter Samstagstermin, eindrucksvolle Kulisse: Clément Noël fuhr auf dem Ganslernhang zu seinem zweiten Weltcupsieg. (c) APA/AFP/JOE KLAMAR
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Marcel Hirscher musste sichim Kitzbühel-Slalom nach starker Aufholjagd nur Clément Noël geschlagen geben. Der junge Franzose überragt derzeit die Konkurrenz.

Clément Noël hat sich eindrucksvoll auf dem Thron der Slalomwelt behauptet. Nach dem Premierensieg in Wengen triumphierte der 21-jährige Franzose am Samstag auch auf dem Ganslernhang in Kitzbühel und verhinderte ein Happy End wie 2017 für Marcel Hirscher. Damals fuhr der ÖSV-Star dank einer Aufholjagd von Rang neun noch zum Sieg, diesmal wurde es Platz zwei vor Noëls Landsmann Alexis Pinturault. „Sicher nicht der Optimalfall, aber ich kann mit ruhigem Gewissen heimfahren“, resümierte der Salzburger und rätselte neuerlich über die Schwierigkeiten im ersten Durchgang. „Teilweise bin ich am Verzweifeln, ich weiß nicht, was los war. Aber wenn es so ausgeht, ist es halbwegs egal.“

Die Wetterprognose in Kitzbühel hatte sich bewahrheitet, seit den Morgenstunden herrschte tief winterliches Schneetreiben. 39.000 Zuschauer – darunter im zweiten Durchgang auch Arnold Schwarzenegger – sorgten zum ungewohnten Termin für eine neue Slalom-Rekordkulisse, das Weiß auf den Straßen war bald zu braunem Gatsch verkommen. Die Läufer mussten sich den Tücken des Ganslernhang bei eingeschränkter Sicht stellen, Noël zeigte sich davon unbeeindruckt und stellte wie vor einer Woche Technik und Nerven unter Beweis.

„Ich wusste, dass ich schnell bin, aber ich habe nicht erwartet, zwei Rennen in Folge zu gewinnen“, sagte der 21-Jährige. „Jetzt bin ich super glücklich und werde mir die Zeit nehmen, das zu genießen.“ Hirscher zollte seinem jungen Rivalen einmal mehr großen Respekt: „Technisch brillant, er fährt eine kürzere Linie als alle anderen. Da heißt es anhalten.“


Eine Frage der Balance. Auf dem Podest überragte Noël seine beiden Konkurrenten dann auch physisch, mit 1,91 Metern zählt der Mann aus Ventron im Norden Frankreichs zu den größten Slalomspezialisten. Er profitiert von der Weiterentwicklung auf dem Materialsektor, die hochgewachsenen Athleten wesentlich mehr Stabilität auf kurzen Skiern ermöglicht. „Ich kann nicht fahren wie Marcel, er ist kleiner und wirklich kräftig. Er ist beeindruckend, weil seine Füße so schnell von einer Seite auf die andere gehen. Das kann ich nicht machen. Ich muss mit meinen Qualitäten schnell sein“, betonte Noel.

Um den Größenvorteil der Hebelwirkung voll auszunützen, ist eine überragende Balance Voraussetzung. So ist bekannt, dass der Halbzeitführende Ramon Zenhäusern (am Ende Sechster), von Schweizer Medien liebevoll „Zweimeter“, genannt und noch einmal neun Zentimeter größer als Noël, beispielsweise viele Einheiten mit Trampolin springen, Kickboxen oder Surfen absolvierte, um das Gleichgewichtsgefühl zu trainieren.

Hirscher hat hingegen mit seinen 1,73 Meter eine vergleichsweise atypische Statur in der Riege der aktuellen Slalomfahrer. Denn in den letzten zehn Jahren haben mit dem Franzosen Julien Lizeroux (1,73) sowie den Italienern Cristian Deville (1,74) und Stefano Gross (1,78) nur drei andere Rennläufer unter 1,80 Siege in dieser Disziplin gefeiert. Der 29-Jährige kompensiert fehlende Zentimeter mit extrem ausgeprägter Schnellkraft – einen solchen Muskelaufbau können sich umgekehrt sehr großgewachsene Athleten im Hinblick auf die Beweglichkeit zwischen den Stangen nicht leisten. Generell möchte der ÖSV-Superstar physische Voraussetzungen jedoch nicht überbewerten. „Es heißt, meine Oberschenkelknochen wären auffallend kurz. Das wiederum sorge für eine ideale Hebelwirkung und dafür, dass der Schwerpunkt meines Oberkörpers beim Skifahren nie zu weit nach hinten komme. Ich halte das für Blabla“, wird er in der aktuellen „Heroes“-Ausgabe des Red Bulletin zitiert. „Jeder kann gewinnen, unabhängig vom Körperbau. Wir müssen alle mit dem zurechtkommen, was wir haben.“

In Kitzbühel hob Hirscher das Positive hervor, schwärmte von Piste und Kulisse („Ein Rennen, an das ich mich lang erinnern werde“). Durch die Vorverlegung haben die Slalomläufer nun einen Tag mehr Zeit zur Regeneration für das Nightrace in Schladming am Dienstag. Dort bietet sich dem Salzburger die Chance gegen Noël zurückzuschlagen, im Vorjahr gelang ihm genau das im Duell mit Henrik Kristoffersen.


Bulgarisches Märchen. Die Überraschung des Tages lieferte der Bulgare Albert Popow, der sich mit Startnummer 71 als Fünfter für den zweiten Durchgang qualifiziert hatte, und am Ende Neunter wurde. Dem 21-Jährigen eilte schon früh der Ruf als Supertalent voraus, 2015 bremste ein tragischer Autounfall seinen Aufstieg: In Sölden stürzte Popow in einem Fahrzeug über 100 m in die Tiefe, sein Trainer, der slowenische Ex-Rennläufer Drago Grubelnik, kam dabei ums Leben. Seit drei Jahren trainiert Popow nun mit dem deutschen Team und fuhr in Kitzbühel zum dritten Mal in die Punkteränge sowie erstmals in die Top Ten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.01.2019)

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