Der Literat wiederholt seine Kritik an der Regierung bei einer Gedenkveranstaltung. Vergleiche mit der Zeit des Nationalsozialismus seien in Ordnung, wenn es kein Gleichsetzen sei. "Wenn wir nicht vergleichen dürfen, dann hat die Geschichte mit uns nichts zu tun."
Der Literat Michael Köhlmeier hat in einer Rede in Linz die "kleinen Schritte zum Bösen" kritisiert. Denn sie führten - wie die Geschichte zeige - zu den Toren der Konzentrationslager, warnte er bei einer Feier der Freunde von Yad Vashem und der Stadt Linz anlässlich des Holocaustgedenktages der Vereinten Nationen Dienstagabend. Er verpackte in seine Rede harsche Kritik an der österreichischen Bundesregierung.
Der Weg nach Auschwitz, Treblinka, Majdanek und Mauthausen habe aus unzählig vielen und kleinen Schritten bestanden, die nachvollziehbar seien. Die Geschichte fordere auf, auf die heutigen Schritte zu achten und sich zu fragen, ob ihre Spuren in eine ähnliche Richtung weisen. "Es beginnt mit einer kantigen Herabwürdigung einer Menschengruppe: Wenn jemand Flüchtlinge und Migranten als 'Erd- und Höhlenmenschen' bezeichnet (gemeint ist der FPÖ-Abgeordnete Christian Höbart, Anm.), sie also aus der Spezies aussondert. Oder wenn ein anderer - inzwischen Vizekanzler - vorschlägt, rückzuführende Asylwerber in Frachtmaschinen zu befördern. Zitat: 'Da können sie dann schreien und sich anurinieren. Da störts dann niemand'", gab Köhlmeier zu bedenken. Danach komme keine Entschuldigung, "es war ja so dahergesagt, gar nicht so gemeint - zugespitzt".
"Wer 'Halt' ruft, läuft Gefahr, als Querulant abgestempelt zu werden"
Ein weiterer dieser kleinen Schritte sei, wenn es schon seit längerer Zeit zynische Mode geworden sei, ein Wort wie "Gutmensch" zu gebrauchen, um jemanden einen Trottel zu schimpfen oder einen Heuchler. Wer bei solchen Kleinigkeiten "Halt" rufe, laufe Gefahr als "Querulant" abgestempelt zu werden, ein "Spielverderber". Wer trotzdem nicht aufgebe, mache sich lächerlich, mache sich zum "Narr" und werde freigegeben für die große anonyme Beschimpfung in sozialen Netzen.
Das in den vergangenen Jahrhunderten in Europa aufgebaute ehrwürdige Kolossalgebäude der jüdisch-christlichen und aufgeklärten Ethik als Tempel des Guten, Wahren und Schönen sei irgendwann von den vielen kleinen Flecken zugeschmiert und nicht mehr zu erkennen. "Und dann herrscht freie Bahn für die Barbarei", stellte Köhlmeier fest. Wenn sich diese ausgetobt habe, "stehen wir da: Mund offen, ungläubig, betroffen, streuen uns selbst Asche auf Haupt, vergießen billige Tränen und fragen 'Wie konnte das geschehen?'" Es passiere, wenn nicht Obacht gegeben werde. Die winzig kleinen Schritte würden aber doch getan "und wir lassen es geschehen, dass sie sich aneinanderreihen. Weil wir nicht der Narr sein wollen".
Ein deutlich größerer Schritt zum Bösen sei schon getan, wenn ein Mitglied der Bundesregierung (Innenminister Herbert Kickl, FPÖ, Anm.) davon spreche, Menschen "konzentriert" zu halten. Und ein nächster Schritt, wenn derselbe Mann sage, man müsse die Menschenrechtskonvention ändern und der "gegebenen Situation angleichen" - was ja nur so zu verstehen sei, "dass künftig unterschieden werden soll zwischen solchen, für die die Menschenrechte gelten und solchen, für die nicht", hielt der Literat fest.
"Vergleichen ist nicht gleichsetzen"
Ein weiterer, kein kleiner Schritt sei die Denunzierung der Hilfe für Hilfsbedürftige. Dazu nannte der Redner die Formulierung "NGO-Wahnsinn" von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP): "Indirekt - inzwischen sogar direkt - gibt er den Helfern die Schuld, wenn tausende Menschen im Mittelmeer ertrinken." Wenn die Caritas diffamiert wird, sei die Absicht klar: "Die Mitmenschlichkeit soll in Verruf gebracht werden. Wo das Mitleid diskreditiert und lächerlich gemacht wird, dort ist der nächste Schritt, anzudeuten oder gleich zu behaupten: 'Jene, denen du dein Mitleid geben willst, verdienen es nicht!' Und der übernächste Schritt kann bereits sein, jenen, die 'das Mitleid nicht verdienen' das Menschsein abzusprechen. Das darf man nicht zulassen! Das darf nicht geschehen!", verlangte Köhlmeier.
Er ging auch auf die nach diesen Worten zu erwartende Kritik "Er packt die Faschismuskeule aus" ein - sowie: "Es sei eine Ungeheuerlichkeit, Tendenzen in der heutigen Flüchtlings- und Einwandererdebatte mit dem Nationalsozialismus zu vergleichen". Doch vergleichen sei nicht gleichsetzen, betonte Köhlmeier - "niemand, der seine Tassen im Schrank hat, setzt mit den Nazis auch nur irgendetwas gleich". Aber wie solle man aus der Geschichte lernen, wenn man "heute" nicht mit "damals" vergleichen soll, fragte er. Wieder sei es ein winzig kleiner Schritt, indem "vergleichen" und "gleichsetzen" nicht voneinander unterschieden, sondern als Synonyme verwendet würden und so letztlich jedes Lernen aus der Geschichte unterbunden werde. "Wenn wir nicht vergleichen dürfen, dann hat die Geschichte mit uns nichts zu tun. Dann ist sie einfach für sich interessant oder uninteressant, aber ohne Bedeutung. Wer uns das Vergleichen verbieten will, der will uns verbieten, aus der Geschichte zu lernen, resümierte der Autor.
Köhlmeier hatte schon im Mai mit einer regierungskritischen Rede in der Hofburg für Aufsehen gesorgt. Bei der Gedenkveranstaltung erhielt er stürmischen Applaus für seine FPÖ-Kritik. Die Rede erschien anschließend sogar in Buchform.
(APA/Red.)