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Motive schälen wie Zwiebeln

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Serie „Verhandeln wie ein Profi“ (5/7). Struktur gibt Sicherheit – auch beim Verhandeln. Hier ist die wichtigste Phase des sechsteiligen FBI-Verhandlungskonzeptes: die Motivanalyse.

Ein Spezialeinsatzkommando wird gerufen. Ein 42-Jähriger hatte sich nach einem gewalttätigen Streit mit seiner Frau in einer Wohnung verschanzt. Die Frau hatte flüchten können und die Polizei gerufen. Ihr Kind hatte zurücklassen müssen. Nun drohte er, sich und "ihre Brut" umzubringen.

Kein gutes Ausgangsszenario für die FBI-Verhandler. Ein Geiselnehmer in Rage, der offensichtlich keine väterlichen Gefühle für das Kind hegt: Er bezeichnet es als „Brut“, als Sache. Beim Erstkontakt mit dem Verhandlungsführer ging es darum, eine Beziehung aufzubauen und seine Motive zu entschlüsseln.

Endlich hob der Geiselnehmer das Telefon ab. „Wie geht es Ihnen?“, fragte der Verhandlungsführer. „Nicht gut“, kam es nach einer Pause zurück. „Nicht gut?“ Der Verhandlungsführer wiederholte die Worte des Geiselnehmers, paraphrasierte sie und brachte den Geiselnehmer so zum Reden. Im Hintergrund war Kinderweinen zu hören – das Kind war also noch am Leben. „Ich brauch‘ Hilfe.“ – „Hilfe?“ – „Ich brauch‘ die Mutter!“

Es geht voran: Der Geiselnehmer spricht mit dem Verhandlungsführer, geht auf seine Fragen ein und benennt die Mutter als Person. Am Ende schlägt er selbst vor, wie er sich dem FBI ergibt. Und enthüllt sein Motiv: Er war eifersüchtig auf das Kind eines anderen – und hatte Angst, seine Frau würde ihn verlassen. Was auch geschah.

Motive schält man wie Zwiebeln. Ein anderer Geiselnehmer forderte einen Mercedes der S-Klasse. Sein Motiv: Er wusste, er würde wieder ins Gefängnis kommen und wollte dort gut dastehen. Wer im Mercedes abtransportiert wird, muss eine große Nummer sein, so sein Gedankengang. Das FBI ging auf die Forderung ein: ein geringer Preis für das Leben der Geiseln.

In Verhandlungen ist ein Kompromiss immer nur das zweitbeste Ergebnis. Besser ist es, in Kenntnis der Motive des anderen eine richtig gute Lösung zu finden. Eine Parabel dazu stammt angeblich aus Harvard: Zwei Personen streiten um eine Orange. Würde sie geteilt (Kompromiss), hat keiner etwas davon. Denn Person A will den Saft, Person B einen Kuchen backen. Dafür braucht sie nur die Schale. Nun, da jeder die Motive des anderen kennt, bekommt jeder, was er will.

Maslow hat fast immer recht

Die menschlichen Grundbedürfnisse, die hinter diesen Motiven liegen, sind fast immer Sicherheit, Selbstbestimmung/Kontrolle, wirtschaftliches Auskommen, Zugehörigkeit und Anerkennung. Man kann sie ganz einfach mit W-Fragen erfragen: „Was verstehen Sie darunter?“ „Wie soll ein Ergebnis aussehen?“, „Weshalb ist das wichtig?“ Oder „Ich würde gern besser verstehen, welche Bedeutung das für Sie hat.“ Das Gegenüber wird antworten, wenn es spürt, dass seine Bedürfnisse bedient werden.

Nur ein Fragewort ist tabu: „Warum…?“. Es wirkt wie ein erhobener Zeigefinger, eine moralische Wertung. Auch wichtig: Immer eine Frage nach der anderen stellen, nie eine ganze Batterie abschießen.

Bedenken Sie in einer Verhandlung, dass hinter Ihrem Partner nicht nur Individual-, sondern auch Organisationsmotive stehen können. Hinter dem Geiselnehmer steht seine Bande, hinter dem Verkäufer seine Firma.


Die nächste Folge kommt am Montag: Endlich Verhandeln

Die Anregungen zu dieser Serie stammen aus dem Buch von Thorsten Hofmann, „Das FBI Prinzip“. 

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