„Green Book“: Schwarzer Künstler, weißer Retter

Ein vornehmer Pianist (Mahershala Ali, r.) und sein vulgärer Fahrer (Viggo Mortensen) auf Südstaatenreise: „Green Book“ gilt als „Oscar-Bösewicht“.
Ein vornehmer Pianist (Mahershala Ali, r.) und sein vulgärer Fahrer (Viggo Mortensen) auf Südstaatenreise: „Green Book“ gilt als „Oscar-Bösewicht“.(c) E-One Germany
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„Green Book“ sei in seiner Darstellung der Rassentrennung unsensibel, monieren Kritiker. Darf man die gut gemachte – und gemeinte – Komödie trotzdem genießen?

Die Herausgeber des „Negro Motorist Green Book“ freuten sich auf die Zeit, in der sie keine neuen Auflagen mehr drucken würden: Von 1936 bis 1966 listete das Buch Hotels, Tankstellen und andere Dienstleister auf, die Schwarze bedienten – in einer Zeit, in der in den USA Tausende „sundown towns“ existierten, die nicht weiße Menschen abends aus dem Ortsgebiet verbannten. Für schwarze Reisende war es ein Überlebenshelfer, viele Weiße kannten es gar nicht. Der weiße Fahrer Tony Vallelonga (Viggo Mortensen) bekommt es im Film „Green Book“ in die Hand gedrückt, während sich am Rücksitz der schwarze Jazzpianist Don Shirley (Mahershala Ali) die Decke über dem Schoß glatt streichen lässt. Die Fahrt in die Südstaaten, sie kann beginnen.

Die Komödie von Regisseur Peter Farrelly („Dumm und Dümmer“, „Verrückt nach Mary“) erzählt von der 1962 tatsächlich stattgefundenen Konzertreise des vornehmen Don, der sich in acht Sprachen gewählt ausdrückt – und ausgerechnet den vulgären, verfressenen Italo-New-Yorker Tony als Chauffeur und Leibwächter angeheuert hat. Dieser hat immerhin den Ruf, Probleme effizient zu lösen – Klappe wie Fäuste sitzen locker bei ihm. Und die Ressentiments tief: Am Anfang des Films wirft er angeekelt zwei Gläser weg, in denen seine Frau schwarzen Handwerkern Limonade serviert hat. Bald verteidigt er Don gegen Leute, die ihren Rassismus offener zur Schau tragen. Am Ende sind aus Don und Tony Freunde geworden. Der Golden-Globe-Sieger kommt am Freitag in unsere Kinos. Er ist für fünf Oscars nominiert, u. a. als bester Film. Und er gilt derzeit für viele als „Oscar-Villain“, als Bösewicht der Verleihung: So nennen Hollywood-Beobachter einen überschätzten oder problematischen Film, der einem würdigeren Beitrag den Preis wegschnappen könnte.

Ihre Kritik: Die Südstaaten würden zu harmlos dargestellt, eine demütigende Polizeikontrolle würde durch einen höflichen Beamten in einer anderen Szene „ausgeglichen“. Der Rassismus von Tonys Familie würde bagatellisiert, indem er in liebliches italienisches Geschnatter verpackt wird. Und Don sei nur Nebenfigur bei einer Entwicklung, die Tony durchmacht – der Don gnädigerweise unterrichtet, was es wirklich bedeute, schwarz zu sein: Zu Tonys Entsetzen hat Don noch nie frittierte Hühnerkeulen mit den Fingern gegessen. Und noch nie Little Richard gehört: „Das sind doch Ihre Leute!“

„Völlig inakkurate Karikatur“

Der echte Don Shirley starb 2013. Seine Familie ließ kein gutes Haar an dem Film, sein Bruder beschwerte sich über eine „völlig inakkurate Karikatur“ voller Lügen: „Niemand hat meinem Bruder je beibringen müssen, wie man frittiertes Huhn isst.“ Shirleys Familie sei erst im Nachhinein von den Filmemachern kontaktiert worden, während Vallelongas Sohn am Drehbuch mitschrieb. Das nährt die Kritik: „Green Book“ sei ein Film über Rassentrennung, gemacht von Weißen für Weiße. Eine Bestätigung für Menschen, die Vorurteile hegen und zugleich sagen: „Nein, gegen dich hab ich ja nichts.“ Und anachronistisch noch dazu: Steht im Mittelpunkt doch ein weißer Retter, der lernt, ein besserer Mensch zu werden.

Die Kritiker sind natürlich ernst zu nehmen. Doch die Debatte weist auch auf ein Dilemma hin: In einem Hollywood, das von Kontroversen und einer polarisierenden US-Politik aufgewühlt ist, sollen Oscar-Filme möglichst Stellung beziehen. „Woke“ lautet das Stichwort – „erweckt“ im politischen Sinne, im Bewusstsein um Missstände. Die Streitfrage: Darf ein Film, der von brisanten Themen handelt, trotzdem wohltuend sein? Einfach eine schöne Geschichte erzählen?

Denn das kann man „Green Book“ nicht absprechen: Er ist ein gefühlvoller Film mit bittersüßem Humor. Schwungvoll inszeniert, mit herzerwärmenden Dialogen, taugt er weniger als Rassismus-Problemstück, sehr aber als bewegende Charakterstudie: Mahershala Ali brilliert in der Rolle eines Mannes, der hartnäckig versucht, seine Würde zu wahren. Er hadert mit der verwirrenden Rolle, die ihm zuerkannt wird: Als Entertainer im Smoking ist er in den Salons der feinen Gesellschaft begehrt – aber nur als Jazzpianist, seine geliebte Klassik ist ein „weißes“ Fach. Dinieren darf er mit seinem Publikum freilich nicht. Und in den Pausen soll er gefälligst das Plumpsklo im Garten benutzen. Zu distinguiert für einen Schwarzen, nicht Mensch genug für viele Weiße: Was darf er in dieser Welt überhaupt sein?

Tony steht ihm zunächst nur aus Pflichtgefühl bei: Immerhin bekommt er seinen Lohn nur, wenn er Don heil wieder heimbringt. Der weiß das zu gut. Dass sie einander langsam liebgewinnen, wirkt trotzdem nie geheuchelt in diesem Film, der zeigen will, dass es möglich ist, Vorurteile zu überwinden: nicht durch Belehrung, sondern durch menschliche Begegnungen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.01.2019)

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