Niederlande

Reiseziel für Bibliophile: Dominicanen in Maastricht

Buchladen, Kaffeehaus, Kirche: Boekhandel Dominicanen in Maastricht.
Buchladen, Kaffeehaus, Kirche: Boekhandel Dominicanen in Maastricht. Imago
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Buchfreunde und begeisterte Leser kommen nach Maastricht, um eine der aufregendsten Buchhandlungen zu besuchen. Der Buchladen Dominicanen befindet sich in einer aufgelassenen gotischen Kirche.

Der schönste Buchladen wartet laut BBC, CNN und „Guardian“ in den Niederlanden. So kommt es, dass Leser von überall gezielt nach Maastricht reisen und sich im Zentrum in die Dominicanenstraat Nr. 1 begeben. Wo sie nicht sogleich eintreten, sondern zuerst innehalten. Das Portal zur Buchhandlung in der ältesten gotischen Kirche der Niederlande ist ein asymmetrisches Objekt aus Stahl, 6000 Kilo schwer. Sonne bringt die rostige Fläche zum Leuchten und Worte darauf an den Tag: Bücher in 25 Sprachen. Kaum hat der Besucher die Buchhandlung Dominicanen betreten, geht sein Blick aufwärts, streicht über die sieben Meter hohe und 30 Meter lange zweistöckige Stahlkonstruktionen in Form zweier Bücherregale. Wandert über die Stirnseite der Kirche, rutscht das Spitzbogenfenster hinab an die Stelle des früheren Altars. Hier wandelt sich das Staunen in Vorfreude.

Imago

Gott ist am 29. September 1294 eingezogen, ausgezogen 1805. Mit ihm die Orgel, Marmorbänke, sieben Kanzeln, Statuen und Gemälde. Als Kirche wurde die Kirche nicht länger gebraucht. Sie diente der Stadtverwaltung zunächst als Lagerhalle. Das städtische Orchester fand hier vorübergehend seinen Sitz. Blumenausstellungen. Die Guillotine wurde aufbewahrt. Boxkämpfe wurden ausgetragen. Ein Autohaus zog ein und aus. Die Post. Unter dem Kreuzrippengewölbe fanden Events statt. Die Versuche der Stadt, die maroder werdende Dominikanerkirche zu restaurieren, scheiterten wieder und wieder. Es wollte nicht gelingen, die nötigen Mittel aufzubringen. Bis sich kommerzielle Nutzung offenbarte: die Buchhandelskette Selexyz. Die Stiftung Restaurierungsatelier Limburg sandte Experten in die Kirche, und Hunderte Radfahrer mussten einen neuen Abstellplatz für ihr Bike finden. Das war 2004.

Begehbares Regal

Die erwähnte Vorfreude des Besuchers beim Eintreten in die Buchhandlung löst das Coffeelovers im früheren Altarraum aus. Ton Harmes sitzt dort oft im Gespräch mit Schriftstellern, Künstlern, Musikern, Besuchern. Er ist nunmehr privater Inhaber der Dominicanen, die Buchhandelskettenzeit Vergangenheit. Er erzählt begeistert, wie es zu der Gestaltung gekommen ist. Selexyz brauchte aus ökonomischen Gründen 1200 m2 Verkaufsfläche und dachte, Regale auch in die Mittel- und Seitenschiffe zu stellen. Das Amsterdamer Architekturbüro Merkx+Girod dachte anders: Der Buchladen sollte nicht von der Kirche ablenken. „Sie sagten uns: ,Die Kirche bleibt das Zentrum. Betrachtet sie als Hülle, in die wir eure Buchhandlung setzen.‘“ Deshalb streben jetzt die beiden begehbaren Bücherregale zweistöckig dem Gewölbe entgegen.

Und wer in der zweiten Etage nach antiquarischen oder Secondhandbüchern sucht, der ist den Deckenmalereien, die Bruder Jan VasSoens von 1618 bis 1620 über verblichene alte aufgetragen hat, ganz nah. Wer bis zum Ende des Regals in Richtung des Eingangs geht, sieht eine der ältesten Wandmalereien der Niederlande von 1337. Harmes brennt für seine Buchhandlung. Dass es sie überhaupt noch gibt, dass Besucher im Erdgeschoß Weltliteratur finden, Kunst- und Geschichtsbücher aufschlagen, in Kochbüchern, Naturbüchern blättern können, ist ihm und seinen Mitarbeitern zu verdanken. Wenn Leser in der ersten Etage viel fremdsprachige Literatur und wissenschaftliche Bücher finden, in CDs und Schallplatten stöbern können, dann, weil sie alles auf eine Karte gesetzt und hoch gepokert haben. Harmes erzählt, wie erst Selexyz pleiteging, Polare, eine andere Kette, übernahm und 2014 ebenfalls strauchelte.

„Ich hatte hier leere Regale, null Euro für den Einkauf. Meinen Mitarbeitern musste ich im Februar sagen: ,Ab März seid ihr ohne Arbeit. Aber wollt ihr die Buchhandlung mit mir aus der Konkursmasse schaffen?‘“ Sie wollten. Harmes suchte Investoren, brachte selbst über 50 Prozent ein, zur Rettung reichte es aber nicht. „Der Dominikanerorden ist ein Bettelorden“, sagt er, „also beschlossen wir, betteln zu gehen: Crowdfunding.“ Sie suchten Menschen mit Bezug zu Büchern, Stadt, Kirche. Sie konnten ihren Beitrag auch direkt abgeben. Presse, Radio, Fernsehen verbreiteten die Nachricht, als ginge es ums eigene Überleben. Nach sieben Tagen waren 110.000 Euro beisammen. Bücher konnten eingekauft, Regale wieder gefüllt werden. „Was für einen Buchladen wollt ihr haben?“, fragte Harmes die Leute, die Geld brachten. „Einen, in der uns Literatur umfängt, in dem wir uns ungezwungen umsehen, diskutieren, Kaffee trinken können“, antworteten sie. Im Coffeelovers deutet er auf die gut besetzen Tische und auf den langen kreuzförmigen Tisch in dessen Mitte. Vom Gewölbe hängt eine Lampe in Gestalt eines Heiligenscheins. „Wir erfüllen die Wünsche der Leute“, sagt Harmes. „Dort die Bücher, 40.000 Titel. Hier Raum für Begegnung. Ein Ort, der das Lesen fördert, kreative Ideen, Cyberspace.“ Der Kreuztisch soll an das letzte Abendmahl erinnern. „Was war es denn? Es war das Teilen von Speis und Gedanken. Hier sitzen Leute beisammen, die sich eben noch nicht gekannt haben, essen und sprechen, tauschen sich aus. Debatten sind willkommen.“ Und Musiker, Schriftsteller, Künstler.

Erstklässler stürmen den Bereich Kinderbücher. Blättern, rufen, flüstern. Kommt keiner gerannt, um sie aufzuhalten? „Nein, gewiss nicht“, sagt der Buchhändler. „Kinder dürfen alle Bücher anfassen. Und meistens wollen sie das, was sie in der Hand haben, auch nicht mehr hergeben.“ Licht strömt durch das Spitzbogenfenster über dem Portal. Ein durch und durch weltlicher Ort. „Morgens um sieben“, sagt er, wenn ich ganz allein hier bin, wenn es ganz still ist, dann ist die Kirche wieder Kirche. Dann singe ich das Credo. Ich war einmal Chorknabe.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 2.2.2019)

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