Von Salt bis INF: Das ABC der Atomabrüstung

Ein Überblick über die Verträge zur Abrüstung und Rüstungskontrolle, die Amerikaner und Russen oft über Jahre mühsam ausgehandelt haben. Und an denen sie jetzt die Lust verlieren.

Mit einem Schlag ist Atomrüstung zurück auf der Agenda der europäischen Politik: In den 1970er- und 1980er-Jahren mobilisierte der Kampf gegen Nuklearwaffen in den europäischen Hauptstädten noch Millionen Demonstranten, die Nato-Nachrüstungsdebatte dominierte jahrelang den sicherheitspolitischen Diskurs. Wohl auch der öffentliche Druck wie auch die enormen Kosten durch die ungezügelte Hochrüstung brachten die USA und die Sowjetunion dazu, sich ab Ende der 1960er-Jahre an den Verhandlungstisch zu setzen und an Verträgen zur Begrenzung der Atomwaffen zu arbeiten.Das Ergebnis war eine Serie von Abrüstungs- und Rüstungskontrollverträgen, im Fall des INF-Vertrags über den Abbau der bodengestützten Mittelstreckenraketen und Marschflugkörper von 1987 wurde sogar eine ganze Kategorie von Atomwaffen innerhalb von vier Jahren verschrottet. In der Öffentlichkeit in Europa, das in erster Linie von diesen Mittelstreckenraketen bedroht war, begann man das Kapitel Atomwaffen, mehr oder weniger zu verdrängen. Mit dem Ausstieg der USA aus dem INF-Vertrag ist das Thema aber wieder zurück.

Hier ein Überblick über die von Amerikanern und Sowjets/Russen in den letzten Jahrzehnten vereinbarten Verträgen über die Abrüstung atomarer Waffen.

Salt-I. Die USA und die Sowjetunion begannen im November 1969 mit Verhandlungen zur Begrenzung strategischer Rüstung (SALT = Strategic Arms Limitation Talks). Das nach 130 zähen Verhandlungsrunden vereinbarte Abkommen sah die Reduzierung von strategischen Defensiv- und Offensivwaffen vor und wurde im Mai 1972 vom sowjetischen Staats- und Parteichef, Leonid Breschnjew, und US-Präsident Richard Nixon unterzeichnet. Das auf fünf Jahre angelegte Interimsabkommen räumte den USA 1000 Interkontinentalraketen (z. T. mit bis zu zehn zehn Sprengköpfen), den Sowjets 1408 (z. T. bis zu drei Sprengköpfe) ein, den USA 44 Atom-U-Boote mit maximal 710 Raketen, den Sowjets 62 U-Boote mit 950 Raketen.

ABM-Vertrag. Der ABM-Vertrag (Anti-Ballistic Missile Treaty) war Teil des SALT-I-Abkommens. Er verbot eine Raketenabwehr zum Schutz des ganzen Territoriums der USA beziehungsweise der Sowjetunion und erlaubte nur je zwei Stützpunkte mit maximal 100 Abwehrraketen zum Schutz von Washington beziehungsweise Moskau. 2002 zog sich die US-Regierung unter George W. Bush aus dem ABM-Abkommen zurück, was dessen Aus bedeutete.

Salt-II. Im November 1972 wurden die Gespräche zur Begrenzung strategischer Rüstung fortgeführt. Am 18. Juni 1979 unterzeichneten US-Präsident Jimmy Carter und Sowjetführer Breschnjew das Salt-II-Abkommen in der Wiener Hofburg. Das Abkommen trat offiziell nie in Kraft, weil der US-Senat wegen des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan im Dezember 1979 die Ratifizierung verweigerte. Dennoch hielten sich beide Mächte an die vereinbarten Bestimmungen. Diese sahen 2250 Trägersysteme für Atombomben – egal, ob (landgestützte) Interkontinentalraketen (je 1200 mit Mehrfachsprengköpfen), U-Boot-Raketen oder Bomberflugzeuge – für jede Seite vor.

Start-I. Ab 1982 folgten die Gespräche zur Verringerung strategischer Waffen (Strategic Arms Reduction Talks). Es dauerte bis 1991 zur Unterschrift durch US-Präsident Ronald Reagan und den sowjetischen Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow unter Start-I (Strategic Arms Reduction Treaty). Die Atomsprengköpfe wurden darin jeweils auf 6000 begrenzt, die Trägersysteme auf jeweils 1600. Rund um die nötige Zerstörung von Sprengköpfen und Anlagen wurde ein umfassendes Inspektionsregime vereinbart.

In die Umsetzungsphase platzte der Kollaps der Sowjetunion nach dem gescheiterten Putsch vom August 1991 samt der nötigen Klärung, was mit den Nuklearkapazitäten in früheren Sowjetrepubliken außerhalb Russlands (Ukraine, Weißrussland, Kasachstan) geschehen sollte. Dadurch verzögerte sich die Abwicklung der vereinbarten Abrüstungsmaßnahmen bis Ende 2001. Ende 2009 lief Start-I aus.

Start-II. 1992 ließen US-Präsident George Bush senior und Russlands Präsident, Boris Jelzin, weiterverhandeln. Die Atomsprengköpfe sollten auf je 3500 oder sogar auf 3000 halbiert werden. 1993 wurde das Abkommen unterzeichnet. Eine umfassende Ratifikation blieb wegen weltpolitischer Ereignisse, die das Verhältnis zwischen Washington und Moskau trübten (darunter die Nato-Osterweiterung und der Kosovo-Krieg 1999), aber aus. Mit dem Austritt der USA aus dem ABM-Vertrag 2002 war Start-II endgültig nur noch Papier.

Sort. Als Ersatz für das gescheiterte Start-II-Abkommen unterzeichneten US-Präsident George W. Bush und der russische Präsident, Wladimir Putin, im Mai 2002 den Vertrag zur Reduzierung Strategischer Angriffswaffen (Sort = Strategic Offensive Reductions Treaty). Mit einem Limit von 1700 bis 2200 Atomsprengköpfen bewegt er sich etwa dort, wohin der nie ausverhandelte Start-III-Vertrag hätte führen sollen. Allerdings bezog sich Sort nur auf einsatzbereite Sprengköpfe. Eingelagerte Sprengköpfe oder solche, die gewartet wurden, mussten nicht abgerüstet werden. Eine Zerstörung von Sprengköpfen war daher nicht vorgesehen.

► Start neu. Der Vertrag über die Reduzierung strategischer Angriffswaffen lief regulär Ende 2012 aus. Im Jahr davor fand es durch Start neu einen Nachfolger. Das Abkommen wurde in Prag von den Präsidenten Barack Obama (USA) und Dmitrij Medwedjew (Russland) unterzeichnet. Die Reduktionsziele: Die Atomsprengköpfe auf strategischen Trägersystemen (Interkontinentalraketen, U-Boot-gestützte Langstreckenraketen und Langstreckenbomber) werden auf je 1550 Stück reduziert. Die Zahl der stationierten und nicht stationierten Interkontinentalraketen, U-Boot-gestützten Raketen und Langstreckenbomber wird insgesamt für jedes Land auf 800 Stück begrenzt. Nach Kritik an den schwachen Kontroll- und Verifizierungsmechanismen bei Sort wurden sie bei Start neu wieder strenger und klarer. Der Vertrag ist noch bis 2021 aufrecht.

INF-Vertrag. 1987 unterschrieben Ronald Reagan und Michail Gorbatschow den Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme (Intermediate-Range Nuclear Forces = INF), der die vollständige Abrüstung nuklearer Waffen mittlerer Reichweite bedeutete. Er trat am 1. Juni 1988 in Kraft. Alle bodengestützten Raketen und Marschflugkörper mit einer Reichweite von 500 bis 5500 Kilometern sollten nachvollziehbar und für immer vernichtet werden. Bis Juni 1991 war das Ziel auch erreicht, nachdem knapp 2700 Raketen zerstört worden waren. (b.b., ag.)

( "Die Presse", Print-Ausgabe, 02.02.2019)

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