Drei Männer, die lernten, die Bombe nicht mehr zu fürchten

Das Misstrauen zwischen den USA, Russland und China ist abgrundtief (Im Bild: Russlands Präsident, Vladimir Putin).
Das Misstrauen zwischen den USA, Russland und China ist abgrundtief (Im Bild: Russlands Präsident, Vladimir Putin).(c) REUTERS (ITAR TASS)
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Das Misstrauen zwischen den USA, Russland und China ist abgrundtief. Das hat auch mit den dortigen Führern zu tun, die wenig von Regeln halten.

Zuerst wurde einmal alles abgestritten, sämtliche Anschuldigungen wurden brüsk zurückgewiesen. Seit 2014 klagte die US-Regierung (damals geführt von Barack Obama), dass Russland mit einem neu entwickelten, bodengestützten Marschflugkörper den 1987 geschlossenen Vertrag über die Verschrottung aller landgestützten Mittelstreckenraketen und Marschflugkörper (INF) verletzen würde. Denn das russische SSC-8-Raketensystem, so die Nato-Bezeichnung, fliege 2500 Kilometer weit, der INF-Vertrag aber erlaubte keine Raketen mehr mit Reichweiten von 500 bis 5500 Kilometern. Seit 2014 antwortete Moskau darauf stets: „Stimmt nicht, wir haben keine solchen Waffen."

Dann drohte der jetzige US-Präsident, Donald Trump, plötzlich im Herbst 2018 mit dem Ausstieg aus dem INF-Vertrag. Damit schreckte er die Europäer, vor allem aber die Deutschen auf. Mit ihren Interventionen in Washington erreichten sie aber nur einen Aufschub des US-Ausstiegs um ein paar Wochen.

Aber siehe da: Plötzlich gaben die Russen zu, dass sie einen neuen Marschflugkörper entwickelt hätten. Ja sie führten ihr „Novator 9M729"-System am 23. Jänner sogar westlichen Militärattachés vor, zeigten ihnen eine Abschussvorrichtung, einen Container sowie ein paar Skizzen mit technischen Daten. Und sie behaupteten, das System könne nur 450 Kilometer weit fliegen, verletze also keinen Vertrag, was die USA mit ihrem in Rumänien und bald auch in Polen stationierten Raketenabwehrsystem aber sehr wohl täten. Westliche Fachleute nannte die russischen Vorführung sogleich eine Raketenshow, die nicht zur Ausräumung der amerikanischen Vorwürfe beigetragen hätte.

Das ist wohl das Grundübel, das die derzeitige globale Sicherheitspolitik dominiert: Zwischen den großen Akteuren USA, Russland und China herrscht abgrundtiefes gegenseitiges Misstrauen, das durch einen völlig unberechenbaren US-Präsidenten, einen mit allen Wassern gewaschenen russischen Präsidenten und einen ebenso durchtriebenen wie überehrgeizigen chinesischen Staatschef nur noch verstärkt wird. Die jetzige globale Unsicherheit geht ganz wesentlich auch von diesen drei Männern aus.

Als Ende der 1960er-Jahre die Politik der Abrüstung und Rüstungskontrolle endlich eine Chance erhielt, hing das auch damit zusammen, dass damals Politiker, Diplomaten und Militärs das Sagen hatten, die das Grauen des Krieges aus eigenen Erfahrungen kannten. Natürlich spielte auch eine Rolle, dass die USA und die Sowjetunion ein derartiges Atomwaffenarsenal angehäuft hatten, dass sich die Welt damit gleich mehrere Male vernichten ließ. Also schalteten sie die Hebel auf Abbau der Arsenale um.

Inzwischen sind in den USA und in Russland Politiker und Militärs am Ruder, die sich durch Abrüstungsverträge in ihrem Tun und Wollen eingeschränkt sehen. Ständig wird an besseren, schnelleren, zielgenaueren, zerstörerischen Waffen geforscht, sodass besorgte Fachleute warnen, diese ganze Entwicklung mache die Führung von Kriegen wieder wahrscheinlicher.

Die Europäer hatten es sich nach der Verschrottung der letzten Mittelstreckenraketen 1991 bequem gemacht. Die Öffentlichkeit hat sich eingeredet, die atomare Bedrohung für den Kontinent sei gebannt, obwohl es mit Großbritannien und Frankreich ja weiterhin auch zwei europäische Atommächte gibt und immer noch US-Atombomben in Westeuropa gelagert sind. Jetzt, nach dem wahrscheinlichen Ausstieg der USA aus dem INF-Vertrag, ist das Entsetzen groß.

Tatsächlich sind die Aussichten düster, die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem neuerlichen atomaren Rüstungswettlauf in Europa kommt, ist ziemlich groß. Retten ließe sich der INF-Vertrag wohl nur, wenn es einen entsprechenden Schub zur Vertrauensbildung zwischen Amerikanern und Russen gäbe und sie gegenseitig scharfe Inspektionen und Kontrollen zuließen, um alle Anschuldigungen aus der Welt zu schaffen. Das wird es nach dem Stand der Dinge nicht geben. Und die Europäer können nichts tun, außer ihre besorgten Appelle zu verbreiten, die in Washington und Moskau aber nicht gehört werden.

E-Mails an: burkhard.bischof@diepresse.com

( "Die Presse", Print-Ausgabe, 02.02.2019)

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