INF: USA läuten nächste Phase im Abrüstungsstreit mit Russland ein

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Die USA sehen sich von Samstag an nicht mehr an eines der wichtigsten Abrüstungsabkommen gebunden. Bis der INF-Vertrag ausläuft, bleiben theoretisch aber noch sechs Monate Zeit.

Die USA sehen sich von Samstag an nicht mehr an eines der wichtigsten Abrüstungsabkommen mit Russland gebunden und wollen Moskau ihre neue Haltung offiziell übermitteln. Eine entsprechende Note soll auch an andere Rechtsnachfolger der früheren Sowjetrepubliken gehen, hieß es im Voraus aus dem Weißen Haus.

Bis der INF-Vertrag zum Verzicht auf atomare Mittelstreckenwaffen endgültig ausläuft, bleiben aber - zumindest theoretisch - noch sechs Monate Zeit für eine mögliche Beilegung des Streits.

Der Vertrag verbietet Marschflugkörper mit einer Reichweite zwischen 500 und 5.500 Kilometern und untersagt auch die Produktion und Tests solcher Systeme. Die Abkürzung INF steht für "Intermediate Range Nuclear Forces", auf Deutsch: nukleare Mittelstreckensysteme. Die USA und die damalige Sowjetunion hatten den Vertrag 1987 geschlossen.

US-Präsident Donald Trump und Außenminister Mike Pompeo kündigten am Freitag in Washington an, die USA fühlten sich vom heutigen Samstag an nicht mehr an die Verpflichtungen des Vertrags gebunden und würden dies Moskau noch am selben Tag wissen lassen. Die NATO-Partner stellten sich geschlossen hinter die Forderung der Amerikaner an Russland, einzulenken und die Vertragsbedingungen bis spätestens August einzuhalten. Moskau drohte umgehend mit Konsequenzen - ohne aber konkret zu werden.

In vielen Teilen der Welt löste die Ankündigung aus Washington Sorge vor einem neuen atomaren Wettrüsten aus. Zwar sagte Trump auch, er wünsche sich, dass es zu einem neuen, besseren Vertrag komme. Allerdings hatte er in der Vergangenheit wiederholt erklärt, dafür müsse auch China zum Vertragspartner werden - und dazu lässt Peking keinerlei Bereitschaft erkennen.

Als Konsequenz aus der Aufkündigung zeichnet sich in Europa Streit ab. Polens Außenminister Jacek Czaputowicz sagte dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel": "Es liegt in unserem europäischen Interesse, dass amerikanische Truppen und Atomraketen auf dem Kontinent stationiert sind." Der deutsche Außenminister Heiko Maas hielt dagegen: "Europa ist nicht mehr geteilt wie in Zeiten des Eisernen Vorhangs und deshalb sind alle Antworten aus dieser Zeit völlig ungeeignet, die Herausforderungen, mit denen wir es jetzt zu tun haben, zu beantworten."

Die NATO hat nach den Worten von Generalsekretär Jens Stoltenberg keine Absicht, neue Atomwaffen bodengestützter Art in Europa zu stationieren. "Wir müssen aber klarmachen, dass wir eine glaubwürdige Abschreckung und Verteidigung haben in einer Welt auch ohne INF-Vertrag", sagte Stoltenberg am Freitagabend im ZDF-"heute journal". Er kündigte eine "angemessene Reaktion" an, die "defensiver" Natur sein "und im Verhältnis stehen" werde.

Außenministerin Karin Kneissl (FPÖ) sprach von "einem Vertrauensbruch auf allen Seiten". Österreich sei "besorgt, wenn ein wesentlicher Abrüstungsvertrag kippen sollte - es ist ja noch nicht ganz der Fall -, weil wir einfach an Abrüstung interessiert sind", so die Ministerin in der "ZiB 2" des ORF. Angesichts der Tatsache, dass sich die NATO-Staaten geschlossen hinter die USA gestellt hatten, sagte Kneissl, es gehe nicht darum, auf der Seite der USA zu stehen, sondern darum, dass der Abrüstungsvertrag aufrechterhalten werde.

Die Amerikaner und die NATO werfen den Russen seit langem vor, mit ihren Raketen vom Typ 9M729 (Nato-Code: SSC-8) gegen die Vorgaben des Vertrags zu verstoßen. Die Raketen sollen nach Angaben aus den USA mindestens 2.600 Kilometer weit fliegen können und wären damit in der Lage, nahezu alle Hauptstädte in Europa zu treffen. Die russische Regierung weist die Vorwürfe zurück und versichert, die Reichweite der 9M729 liege knapp unter 500 Kilometern, was vertragskonform wäre.

Die USA hatten Russland Anfang Dezember ein 60-Tage-Ultimatum bis zu diesem Samstag gesetzt, um sich wieder an die Vertragsbedingungen zu halten. Pompeo beklagte, die USA hätten über Jahre auf den Vertragsbruch der Russen hingewiesen und sich um Klärung bemüht. Russland habe sich aber nicht bewegt.

Offiziell aufgelöst wird das INF-Abkommen laut Vertragstext erst sechs Monate nach der Aufkündigung. Damit bleibt noch etwas Verhandlungsspielraum, um den Vertrag womöglich doch zu retten. Aus dem Weißen Haus hieß es, dies sei nun "Russlands letzte Chance".

Den USA wird vorgeworfen, selbst kein besonders großes Interesse an dem INF-Vertrag in seiner derzeitigen Form zu haben. Das liegt vor allem daran, dass der aus der Zeit des Kalten Krieges stammende Deal nur Amerikaner und Russen bindet, nicht aber aufstrebende Militärmächte wie China.

(APA)

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