Matti Nykänen: Ein Finne flog immer allen davon

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Nachruf. Matti Nykänen, Skisprung-Superstar der 1980er-Jahre, ist im Alter von nur 55 Jahren verstorben. Nüchtern war er der freundlichste Mensch, betrunken nie mehr Herr seiner Sinne.

Sprang Matti Nykänen von der Schanze ab, landete er mit ganz Finnland in Ekstase. Kraftvoll, makellos im Parallelstil und oft viel weiter als seinen Konkurrenten Jens Weißflog, Hubert Neuper oder Ernst Vettori lieb war. Der blonde, blasse und an sich vollkommen unscheinbare Athlet aus Jyväskylä, einer Stadt mit 130.000 Einwohnern, schwang sich in den 1980er-Jahren auf, einer der besten Skispringer überhaupt zu werden. Ein Ausnahmekönner, der jahrelang bewundert, dafür aber jahrzehntelang verteufelt wurde für seine Kehrseite; seinen krankhaften Zwang zum alkoholischen Exzess.

In der Nacht auf Montag ist Nykänen im Alter von nur 55 Jahren verstorben. Sein Herz soll zu schlagen aufgehört haben, aber darüber wird noch im hohen Norden gerätselt. Es geschah daheim im Schlaf, neben seiner fünften Ehefrau Pia, die ihm spät aber doch den rechten Weg gezeigt haben könnte. Einen Alltag ohne Alkohol, einem Leben, mit dem sich der „Königsadler“ anfreunden, das er ertragen konnte. Getragen von Liebe – und nicht medial ausgeschlachtet in der Gier nach Sensationen für wertlose Society-Stories.

Sportlich unerreicht

Gefallene Sportler und Popstars eint weltweit eines: Nach ihrem Ableben wird begonnen, breite Wertschätzung zu zeigen. Dann wird ihnen die Anerkennung zuteil, die zuvor hartnäckig verweigert wurde, weil Typen wie Nykänen nicht dem Klischee des Saubermannes, des PR-Stars entsprechen und der Glanz ihrer Medaillen viel zu schnell verblasst war. Nykänen, der viermal Olympiagold (Sarajewo 1984, Calgary 1988) gewonnen hat, war das ohnehin gleichgültig: Er hatte alle Medaillen längst verkauft.

46 Weltcupsiege viermal Gewinner des Gesamtweltcups, viermal Olympiagold, zweimal Sportler des Jahres, Tourneesieger und sechs Mal Weltmeister – Nykänen hatte alles gewonnen, was auf dem Schanzentisch geboten wird. Sein Hoch erlebte er in einer Zeit, als es noch kein Preisgeld gab, sondern stets nur einen Gabentisch voller Sachpreise. Damit konnte der Finne nichts anfangen, auch viele seiner Pokale landeten umgehend im Müll. Oder in einer Bar, im Tausch für ausreichend Getränke.

„Mein Leben war die Hölle“

„Die Hölle ist nicht so schlimm, wie es mein Leben jahrelang war“, wiederholte Nykänen 2003 im Rahmen der vom Chronisten begleiteten und übersetzen PR-Tour für seine Biografie „Grüße aus der Hölle“ immer wieder. Nüchtern war er der freundlichste Mensch, ätzte über das Establishment oder lachte darüber, was mit ihm passiert sei. Über Auftritte als Sänger, als Stripper – er war sich für nichts zu schade, wenn er dringend Geld brauchte. Es war ihm egal.

Auch bei den PR-Interviews war er anfangs guter Dinge, er lachte im Kurhaus Oberstdorf pausenlos. Dass er zuvor die Kellnerin mit Extratrinkgeld „bestochen“ hatte, fiel erst spät auf. Sie brachte Orangensaft im Viertelstundentakt, stets mit Wodka aufgegossen. War er betrunken, gab es kein Auskommen mehr. Er war dann nicht mehr Herr seiner Sinne.

Gewalt und Haftstrafen

Nur so ist erklärbar, warum Nykänen mit dem Gesetz in Konflikt kam. 2004 stach er mit dem Messer auf einen Bekannten ein, weil man volltrunken nach dem „Fingerhakerl“-Spiel nicht mehr einer Meinung war und wurde zu 26 Monaten Haft verurteilt. Er erlitt einen Herzinfarkt, nach dreizehn Monaten wurde er ob guter Führung freigelassen. Nur 103 Stunden später wurde seine Frau (zum wiederholten Male) bei der Polizei vorstellig wegen häuslicher Gewalt. 2006 fasste er wegen Körperverletzung vier Monate Haft aus, 2010 erneut das Messer im Spiel – und wieder landete er im Gefängnis.

Seit Sommer 2014 hörte man kaum noch Negatives. Nykänen hatte zum fünften Mal geheiratet, er schien für sich endlich im Glück gelandet. Dennoch, zuletzt wurde publik, dass er sich öfters krank gefühlt haben soll. Er litt an Diabetes, sagte manch Termin kurzfristig ab – und ging letzten Endes viel zu früh.

Seit Montagfrüh gibt es in Finnland nur noch ein Thema: Matti – sein Leben, seine Siege und seine Fehler. Wer ihm helfen hätte können, und wer viel zu oft, die Nase rümpfend, weggesehen hat.

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Matti Nykänen war 55 Jahre alt. Er gewann vier olympische Goldmedaillen, wurde fünf Mal Weltmeister und holte vier Mal den Sieg im Gesamtweltcup. Alkohol, Messerattacken und Haftstrafen prägten sein Leben, erst spät fand er die Liebe seines Lebens.

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