Israel-Besuch: „Wir verneigen uns vor den Opfern“

Alexander van der Bellen: „Österreich ist mitverantwortlich für die Shoah“
Alexander van der Bellen: „Österreich ist mitverantwortlich für die Shoah“(c) APA/ROBERT JAEGER
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Präsident Alexander Van der Bellen spürt in Jerusalem die Macht der Geschichte – in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem und wegen der Drohungen des Iran gegen Israel.

Jerusalem. In Jerusalems Straßen weht vereinzelt die rot-weiß-rote Flagge neben jenen mit dem Davidstern. Israel bezeugt so dem Staatsgast Alexander Van der Bellen und dessen Land die Reverenz. Im Garten von Beit Hanassi, dem Präsidentenpalast in Jerusalem – eher ein groß geratener Bungalow –, in dem die Büsten der zehn Staatsoberhäupter von Chaim Weizman bis Shimon Peres in Reih und Glied aufgestellt sind wie eine Ehrenformation, probt die Militärkapelle die österreichische Nationalhymne. Ein Offizier adjustiert die Baretts der jungen Rekruten, ein eilfertiger Helfer saugt rasch noch den roten Teppich.

Gastgeber Reuven Rivlin singt die israelische Hymne aus voller Kehle mit. Der John-Lennon-Song „All we are saying: Give Peace a Chance“, der sich als Slogan auf einem Transparent über den Balkon vis-à-vis des Präsidentenpalasts spannt, will indessen nicht zum politischen Ton passen. Es ist eine nahöstliche Fantasie, unerfüllt seit vielen Jahrzehnten. Und doch ist die Stimmung entspannt an diesem sonnendurchfluteten Tag, als die Präsidenten zu schmissigen Melodien das Spalier abschreiten.

In seiner Rede preist Rivlin sein Gegenüber als „wahren Freund“ Israels. Aus ihm sprechen Stolz und Selbstbehauptungswillen: „Israel ist ein kleines Land, aber groß in Innovation, Sicherheit, Medizin, Landwirtschaft. Es ist ein starkes Land, und es wird keine Kompromisse machen.“ Seine Variante der Lennon-Songzeile lautet: „Wir wünschen uns, dass eines Tages Frieden einzieht.“ Wie und wann – das sagt er nicht.

Recht unvermittelt und unmissverständlich redet er im nächsten Atemzug über das Regime im Iran, Israels Erzfeind. „Es ist die Hauptursache für die Instabilität in Nahost, es droht Israel mit Vernichtung. Es gilt die Aggression der Hisbollah zu stoppen und einen Krieg zu verhindern.“

Es dauert nie lang, bis in Israel die Rede auf den Iran kommt, das aktuell große Bedrohungsszenario – und auf den Genozid, die Gräuel des Holocaust, seine Wunden und Nachwehen. „Der Antisemitismus ist nicht verschwunden, er erhebt überall sein Haupt“, mahnt Rivlin, der sonst am liebsten über Fußball fachsimpelt oder gern einen Kontrapunkt setzt zu seinem Parteifreund Benjamin Netanjahu.

Österreichs Präsident zeigt Verständnis für Israels rigide Position zum Iran: „Was würden wir sagen, wenn jemand Österreich das Existenzrecht abspräche?“ Der grassierende Antisemitismus beunruhigt ihn. „Wir verneigen uns in Demut vor den Opfern der Shoah. Österreich hat sich sehr spät zu seiner Mitverantwortung bekannt.“ Es sei es den Opfern der Shoah schuldig, das jüdische Leben in Europa zu schützen. In Yad Vashem notiert er: „Aus dem ,Niemals vergessen‘ wird ein ,Niemals wieder‘.“

Er würdigt Israel als „Festung der Demokratie“ – und Theodor Herzl als „spirituellen Vater“, wie er es in Hebräisch ausdrückt. Ins Gästebuch schreibt er vom Spickzettel ab – jedes falsche Wort könnte eine kleine Staatskrise auslösen: „Möge unsere Freundschaft noch stärker und tiefer wachsen.“ In seiner Rede hat er bereits betont: „Wir haben noch viel miteinander vor.“

Es sind nicht allein Worte, es sind auch Gesten, die in Israel zählen. Ergriffenheit rührt den 75-Jährigen beim Gang durch die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, beim Innehalten während der Gedenkzeremonie vor der ewigen Flamme, in der Halle der Namen, im Denkmal für die Kinder, wo Kerzenlichter die Finsternis erhellen, während die Namen der Opfer durch den Raum hallen.

Kein geborener Diplomat

Der Präsident macht halt am Herzl-Berg, bei den Gräbern des Begründers des Zionismus und von Jitzhak Rabin, er pflanzt einen Bäumchen, er steckte tags zuvor einen Zettel in eine Ritze der Klagemauer. Das ist zwar quasi diplomatisches Protokoll für jeden Staatsgast, doch Van der Bellen ist kein geborener Diplomat – obwohl er hinter den Kulissen erneut dafür plädiert, für Außenministerin Karin Kneissl eine Ausnahme von Israels Bann für Minister mit FPÖ-Etikett zu machen. Einstweilen vergeblich. „Wir müssen ja nicht immer einer Meinung sein“, sagt er zu Rivlin, den er offiziell zu einem Gegenbesuch nach Wien eingeladen hat.

„Jerusalem ist zu jeder Jahreszeit faszinierend, es atmet Geschichte“, sagt er bei einer Führung durch die Altstadt, bei der er auch in die Grabeskirche geschlüpft ist – was ihn nicht unbeeindruckt ließ. Dass er beinahe auf Schritt und Tritt von israelischen Militärpolizisten mit dem Sturmgewehr im Anschlag und orthodoxen Selfie-Jägern umringt ist – daran hat er sich inzwischen gewöhnt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.02.2019)

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