Schweizer Spitze: Andreas Caminada

Verwurzelt. ­Andreas Caminada stammt aus Graubünden, Muttersprache Rätoromanisch.
Verwurzelt. ­Andreas Caminada stammt aus Graubünden, Muttersprache Rätoromanisch. (c) Schloss Schauenstein
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Soeben wurde er wiederholt mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet. Jüngstes Baby seiner Restaurantfamilie: die Casa Caminada mit Beiz und Bäckerei.

Das Wort Schwellenangst muss jemand wie Andreas Caminada öfters in den Mund nehmen. „Schwellenangst nehmen", „Schwellenängste aufbrechen". Sein Restaurant in der winzigen Stadt Fürstenau in Graubünden ist schließlich kein Ort, den man so einfach schnell einmal aufsucht: Der Name seines Restaurants enthält das Wort Schloss, es ist in einer prachtvollen ehemaligen Wehranlage angesiedelt, und die Preise für die Menüs muten für viele ausländische Gäste, nun ja, eben schweizerisch an. Caminada selbst, mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet, wird als kochendes Aushängeschild der Schweiz gehandelt, er ist in der Liste „World’s 50 Best Restaurants" vertreten und kocht bei Events an der Seite von Oberliga-Chefs wie Massimo Bottura aus Modena oder Gaggan aus Bangkok. Kurzum: Schwellenangst. Was Andreas Caminada, im Kanton Graubünden mit Rätoromanisch als Muttersprache und Gerichten namens Pizokels und Capuns aufgewachsen, sehr offensichtlich gar nicht recht ist. Man merkt diesem bei allem Starappeal bescheiden und seinem Gegenüber zugewandt auftretenden Mann an, wie froh er ist, diese Schwellenangst doch immer wieder aufbrechen zu können. Einerseits mit seinem Genussmarkt, der schon mehrmals Tausende Gäste aus der Region auf das Gelände von Schloss Schauenstein locken konnte. Und vor allem auch mit der Casa Caminada, die im Herbst eröffnet wurde.

Typisch bündnerisch. Zwei ehemalige Ställe auf dem Schlossgelände wurden von einem Namensvetter, Architekt Gion Caminada, zu einem zeitlosen Ensemble umgebaut. Im Keller eine Speisekammer, in der Würste reifen, die typischen Salsiz, wo fermentiert wird und frische Pralinen lagern. Die paar Zimmer und der Gastraum sind „typisch bündnerisch, schlicht, aber sehr sinnlich" eingerichtet, wie Andreas Caminada es nennt. „Schöne Materialien, aber kein Design." Und kein sogenannter Alpenchic, darf man erleichtert ergänzen. In der Greißlerei im Erdgeschoß verkauft man Berglinsen, Käse, Mehl, Fruchtgelees, im Speiseraum serviert man Regionales wie Dörrbirnenravioli aus Erdäpfelteig – „Dörren hat in Graubünden eine große Tradition" – und Pizzoccheri, kurze Buchweizennudeln, mit Wirsing und brauner Butter. Und es gibt Brot. Brot, das in aller Herrgottsfrüh aus dem beeindruckenden Holzofen im selben Haus geholt wurde. Herzstück der Casa Caminada ist für den Koch nämlich die Bäckerei.

„Wir hatten das Bedürfnis, das Handwerk zurückzubringen in dieses Städtchen. Wir brauchten ohnehin Brot für das Restaurant, also machten wir eine Bäckerei, in der auch die Einheimischen Brot kaufen können." Der erste Tag sei sehr emotional gewesen, erzählt Caminada: „Ein Montag, es hat geregnet. Ich bin um zehn Uhr hinübergegangen, dachte, da kommt keiner. Aber das ganze Brot war schon weg, alle Damen des Dorfes waren da gewesen. Das hat mich sehr berührt."

Die Casa Caminada ist mit ihrer eindeutig traditionell bündnerischen Küche ein Gegenpol zum Sterne-Restaurant ein paar Schritte weiter. Zwar kauft Caminada für hier so viele Zutaten wie möglich in der Region, „unsere Küche im Schloss Schauenstein ist aber keine regionale Bündner Küche. Meine Ausbildung ist klassisch französisch, was ich noch immer für die beste Basis halte". 2003 hat er mit einem denkbar kleinen Team aufgesperrt, bald kamen der erste Stern, der zweite, der dritte. „Unsere Küche ist noch immer kleinteilig, detailverliebt, wir sind aber nicht allzu interaktiv am Tisch. Wir sind ein klassisches Restaurant mit klassischer Gastgeberkultur. Kleine Erklärungen gibt es bei Tisch, aber wir schwätzen den Gästen keine großen Geschichten auf." Schon zum Aperitif, der in der poppig-pastellig eingerichteten Bibliothek des Schlosses serviert wird, gibt es unzählige Kleinigkeiten wie winzige Rote-Rüben-Stanitzel. Einige Gänge werden auf mehrere Teller und Schälchen aufgeteilt, der Saibling etwa: kalt gebeizt mit Kohlrabischeiben, warm geräuchert mit Crème-fraîche-Eis, eingelegten grünen Korianderkörnern und marinierten grünen Trauben. Kalbsbries kombiniert Caminada mit Flusskrebs-Tempura, ausgelösten Krebsscheren und Petersiliensauce, ein Stück Schweinsnacken bedeckt er mit Lardo und Dörrbirnencreme und setzt es auf einen gelierten Schweinssud mit Chiliöl. Im Zalto-Glas dazu serviert: einiges aus der Weinregion Graubünden.

Beste Laune. Deren Ursprung, die malerisch gelegenen Weingärten der Bündner Herrschaft, hat man vom Grand Resort Bad Ragaz am anderen Ufer des Rheins bestens im Blick. In diesem luxuriösen Wellnesshotel, wo mit Juli übrigens auch der Schweizer Shootingstar Sven Wassmer ein Restaurant eröffnet, hat Caminada eines seiner Zweitlokale namens IGNIV (das andere ist in St. Moritz). „Igniv ist Rätoromanisch und bedeutet Nest", sagt Caminada. Das Konzept hier: fröhliche Gerichte zum Teilen, auf floral-bunten Tellern sowie Glasgeschirr serviert, ein „Candyshop" für süße Giveaways – und eine große Portion allerbester Laune. Immer wieder kommen neue Dinge auf den Tisch, das junge Team rund um Küchenchef Silvio Germann (der dem IGNIV by Andreas Caminada schon einen Michelin-Stern erkocht hat) und Sommelier Francesco Benvenuto schafft hier eine bei aller Professionalität außergewöhnlich lockere Atmosphäre. So viel zur Schwellenangst.

Wegzehrung

Zur Restaurantfamilie von Andreas Caminada gehören das von ihm bekochte Drei-Sterne-Restaurant Schloss Schauenstein in Fürstenau, Graubünden (Menü ab umgerechnet 190 Euro, Zimmer ab 325 Euro), die Casa Caminada auf dem Schlossgelände – ein umgebauter Stadl mit Zimmern, einem Restaurant und einer Holzofenbäckerei – sowie die beiden IGNIV by Andreas Caminada mit ihrem Sharing-Konzept im Grand Resort Bad Ragaz (Menü ab 130 Euro) und, nur im Winter geöffnet, im Badrutt’s Palace Hotel in St. Moritz.
Caminadas Stiftung Fundaziun Uccelin fördert Talente in der Gastronomie mit weltweiten Stage-Programmen.

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