Tatort Amt: Verfassungsrechtler ortet "wenig Spielraum" bei Rechtslage

Kerzen und Blumen vor dem Eingang der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn.
Kerzen und Blumen vor dem Eingang der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn. APA/DIETMAR STIPLOVSEK
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Nach dem Tod des Sozialamtleiters in Dornbirn - ein amtsbekannter Asylwerber soll ihn erstochen haben - will Innenminister Kickl "alle rechtsstaatlichen Möglichkeiten ausschöpfen", auch wenn er sich "mit EU-Regelungen anlegen muss". Verfassungsrechtler Funk warnt vor "semantischen Strategien".

Ein 34-jähriger türkischer Staatsbürger hat in Vorarlberg den 49-jährigen Leiter des Sozialamts getötet. Auslöser war offenbar eine nicht ausbezahlte Mindestsicherung - eine Tat, die ihrerseits heftige Debatten ausgelöst hat. Denn der Mann war ein amtsbekannter Asylwerber. Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) zeigte sich entsetzt, dass trotz eines vor Jahren über den Täter verhängten Aufenthaltsverbots ein Asylverfahren eröffnet wurde und er sich frei im Land aufhalten konnte. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl rechtfertigte diesen Umstand damit, dass es keine rechtlichen Möglichkeiten gegeben habe, den Mann festzunehmen oder abzuschieben.

"Die Darstellung der Rechtslage nach dem Innenministerium ist korrekt", sagte Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk am Freitag im Ö1-"Morgenjournal". Und fügte hinzu: "Die Anmerkung des Landeshauptmannes, dass man damit nicht zufrieden sein könne, bewegt sich in eine andere Richtung - nämlich, was man an dieser Rechtslage ändern könnte oder sollte."

Änderungen im Sekundärrecht denkbar

Das Innenministerium bzw. das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl führte zur Rechtfertigung EU-Recht, die Europäische Menschenrechtskonvention und die Genfer Flüchtlingskonvention an. Danach gefragt, ob es überhaupt möglich gewesen wäre, in Einklang mit diesen Regelungen zu verhindern, dass sich ein mehrfach straffällig gewordener Mann in Österreich aufhält, so lange sein Asylverfahren läuft, sagte Funk: "Das Netz dieser Regelwerke ist verhältnismäßig dicht und lässt den einzelnen Staaten nur wenig Spielraum." Er sehe kaum Chancen, bei dem damit festgelegten "Schutzstandard" Abstriche zu machen. In Summe müsse daher gesagt werden: "Eine andere Entscheidungsmöglichkeit war nicht gegeben. "

Wollte man daran etwas ändern, so müsste dies laut Funk sehr umfassend passieren: auf Ebene der Europäischen Menschenrechtskonvention bzw. des EU-Rechtes ebenso, wie im Verfassungsrecht. Das sei aber ein wenig erfolgversprechendes Unterfangen, zumindest, was die beiden erstgenannten Bereiche betreffe, meinte Funk. Völlig aussichtslos sei die Angelegenheit dennoch nicht: "Man kann versuchen auf europäischer Ebene, im Sekundärrecht, Änderungen herbeizuführen, die hier ein stärkeres Durchgreifen ermöglichen."

Kritik an "semantischen Strategien"

Aber: "Man muss aufpassen, dass man sich hier im Rahmen der bestehenden Änderungsprozeduren hält", spielte Funk darauf an, dass Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) gestern, Donnerstag, via Facebook mitgeteilt hat: "Ich werde alle rechtsstaatlich zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausschöpfen, um diese Schieflage im Asylwesen wieder gerade zu richten, auch wenn ich mich dafür mit EU-Regelungen anlegen muss" (siehe Posting unten).

Die Frage, ob sich Kickl mit derartigen Äußerungen nicht auf rechtlich sehr dünnem Eis bewege, beantwortete Funk daraufhin folgendermaßen: "Ich sehe das Problem, dass hier positiv konnotierte Begriffe unserer Rechtsordnung - wie Menschenrechte, Asyl, Schutz vor Folter, persönliche Freiheit-Garantie -, in einen Prozess der Umbewertung gezogen werden." Das könne so weit führen, dass durch solche "semantischen Strategien" die Sachdiskussion erschwert wird.

Edtstadler für Änderung der Rechtslage ändern

Die Staatssekretärin im Innenministerium, Karoline Edtstadler (ÖVP), sagte am Freitag ihrerseits, die in den "an Dramatik nicht zu überbietenden Fall" involvierten Beamten hätten sich an die Rechtslage gehalten. Und betonte: Man müsse bei Straftätern dafür sorgen, dass der Schutzstatus wegfalle und dann rasch eine Abschiebung erfolge. Man prüfe, wie bei Wiedereinreisenden Verfahren beschleunigt werden könnten. Zudem setze man sich auf Europaebene für einen stärkeren Schutz der EU-Außengrenzen ein.

Das Facebook-Posting von Innenminister Kickl:

>>> Bericht im Ö1-"Morgenjournal"

(hell)

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