Gig Worker: Zwischen Freiheit und Sklaverei

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Neue Freelancer. Die einen sind entrechtet und ausgebeutet, die anderen frei und durchaus gut bezahlt. Für Unternehmen sind sie jedenfalls die Heilsbringer gegen den Fachkräftemangel. Und sie werden immer mehr.

In den USA beschäftigen wütende Uber-Fahrer die Gerichte, weil sie in den Angestelltenstatus erhoben werden wollen. In Holland wollen streikende Gig Worker eigene Arbeitsgesetze erzwingen. Irland änderte ihretwegen die Bestimmungen für freiberufliche Arbeit.

Die Gig Economy, übersetzt als Freiberufler, die sich ihre Aufträge über digitale Plattformen holen, spaltet die Gemüter. Die einen unterstellen ihr, sie bringe unqualifizierte, schlechtbezahlte und entrechtete Ausbeuterjobs hervor; die anderen, sie erfülle menschliche Bedürfnisse jenseits der monetären: Freiheit, Verwirklichung und sinnstiftende Arbeit.

Firmen wiederum, da sind sich alle einig, liebäugeln mit den digitalen Freelancern, sehen in ihnen die Heilsbringer gegen den Fachkräftemangel, den Talentepool, für den sie keine Verantwortung übernehmen müssen. Kein Recruiting, kein Training, keine Lohnnebenkosten, keine Personalverwaltung. Einfach praktisch. Und vielleicht eine Speerspitze zum Aushöhlen der Arbeitsgesetze.

Was sagen die Gig Worker selbst? Die Boston Consulting Group befragte 11.000 aus elf Ländern (Deutschland ist uns das nächste). Tatsächlich bestätigten 30 Prozent, dass ihr Fixjob der Gig Economy zum Opfer fiel. Ebenfalls 30 Prozent aber lobten, sie hätten der Gig Economy ihre Rückkehr in den Arbeitsmarkt zu verdanken. Die eine Hälfte (es sind tatsächlich 50 Prozent) stöhnte klischeegemäß wegen unterbezahlter Zustell- und Fahrertätigkeiten, die andere Hälfte verdient gut an IT-, Finanz- und Versicherungsdienstleistungen.

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Für drei Viertel der Befragten ist die Gig Work nur ein Zuverdienst. Bei ihnen bedient sie das Bedürfnis nach Autonomie, Flexibilität und Ich-such-mir-aus-was-ich-tun-will. Unter das letzte, abhängige Viertel fällt die junge Mutter, die nur remote arbeiten kann, der Gehandicapte und der Ältere, die sonst keinen Anschluss finden.

BCG teilt die neuen Freelancer in vier Gruppen, je nachdem, wie individuell ihre Verträge sind und wie sehr sie in den Arbeitsfluss ihrer Kunden integriert sind.

Digitale Nomaden liefern maßgeschneidert von irgendwo aus der Welt, was immer der Kunde bestellt. Ein deutscher Executive jammerte, er habe 18 Monate lang eine Vollzeitstelle für einen Java-Entwickler gepostet, zu 20 Prozent mehr Gehalt und anderen Extras. Es kam keine einzige Bewerbung. Sein Heil fand er schließlich bei einem Digitalnomaden.

Fly-in Experten sind gutbezahlte Interimsmanager, die anspruchsvolle befristete Projekte im Haus ihres Klienten abwickeln.

Autonome Clickworker hanteln sich über Plattformen von Auftrag zu Auftrag. So sie keinen anderen Brotjob haben, kann das prekär sein, lässt ihnen aber jede persönliche Freiheit.

Digitale Diener (wohl, um den Begriff Sklaven zu vermeiden) sind wie Uber-Fahrer Teil des Geschäftsmodells ihrer Auftraggeber. Einzeln sind sie leicht zu ersetzen, in Summe unverzichtbar.

Aus der Studie kann man vier Empfehlungen herauslesen:

► Für Unternehmen sind Gig Worker und deren Plattformen die ersehnte Ergänzung ihres Talentepools. Das braucht aber Regeln und Strukturen, etwa Verrechnungs- und Versicherungssysteme.

► Der Einsatz ist umso effektiver, je präziser man sich fehlender Skills im Unternehmen bewusst ist. Die zu erfassen ist allerdings mühsam. Viele Unternehmen, so eine Erkenntnis der Studie, besitzen nicht einmal die Lebensläufe aller Mitarbeiter.

► Natürlich kann man einfach auf den Mittlerplattformen herumsurfen. Professioneller ist eine Freelance Sourcing Strategie. Philips betreibt gar einen eigenen Freelancer Talent Pool.

► Gig Worker anzuheuern ist eine Sache, sie zu integrieren eine andere. Wie ein Personalist bemerkte: „Wir mussten alles zweimal machen, weil wir sie nicht ordentlich eingeschult haben.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.02.2019)

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