Warum Trumps Falken Guaidó stützen

Ein Kuss für Ehefrau und Unterstützerin Fabiana Rosales: Der selbst ernannte Präsident Juan Guaidó bei einem Treffen mit Studenten in der Hauptstadt Caracas.
Ein Kuss für Ehefrau und Unterstützerin Fabiana Rosales: Der selbst ernannte Präsident Juan Guaidó bei einem Treffen mit Studenten in der Hauptstadt Caracas. (c) REUTERS (CARLOS GARCIA RAWLINS)
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Die Machtergreifung des Interimspräsidenten Venezuelas, Juan Guaidó, war eng mit Washington koordiniert. Eine US-Militärintervention schließt er nicht aus. Welche Ziele verfolgt Donald Trump in Venezuela und darüber hinaus?

Vor dem allmächtigen Gott gelobe ich, die Kompetenzen der Exekutive als Interimspräsident von Venezuela zu übernehmen.“ Als der 35-jährige Parlamentspräsident Juan Guaidó am 23.Jänner zur Mittagsstunde auf einer Rednertribüne im Zentrum von Caracas seinen rechten Arm zum Schwur hob und sich damit zum Interimspräsidenten seines Heimatlandes Venezuela ausrief, war ein guter Teil der Tausenden auf den Straßen ebenso perplex wie Guaidós Mutter, die nur wenige Meter von ihrem Sohn entfernt stand, als dieser die wichtigsten Worte seines bisherigen Lebens sprach. Auch Guaidós Frau Fabiana Rosales, die ihren Mann zu den meisten Auftritten begleitet, hatte nichts davon gewusst. Aber 3315 Kilometer nördlich war man offenbar voll im Bilde. Denn schon am Vorabend des Schwurs von Caracas tippte der US-Senator Marco Rubio folgenden Satz in sein Twitter-Profil: „Morgen wird ein sehr guter (und wichtiger) Tag für die Demokratie und die Verfassungsordnung in Venezuela.“

Dass Guaidós Schwur definitiv kein Alleingang war, erwies sich in den folgenden Stunden. Binnen kurzer Zeit hatten die Regierungen Paraguays, Brasiliens, Argentiniens, Kolumbiens, Perus, Chiles, Ecuadors und Kanadas Guaidó als rechtmäßigen Interimspräsidenten anerkannt. Dieser an sich schon bemerkenswerte diplomatische Kraftakt wurde freilich weit in den Schatten gestellt durch eine Kurzbotschaft aus dem Weißen Haus: „Das Volk von Venezuela hat sich mutig gegen Maduro und sein Regime ausgesprochen und Freiheit und Rechtsstaatlichkeit gefordert“, erklärte Präsident Donald Trump seinem Volk und der Welt. Weil Venezuelas Nationalversammlung Maduros Amtsanspruch nicht anerkenne, „ist das Präsidentenamt vakant“. Die USA waren das erste Land, das Juan Guaidó anerkannte, das von Nicolás Maduro die Einberufung freier Wahlen forderte und diesem drohte: „Alle Optionen liegen auf dem Tisch.“ Dieser Satz fiel zuletzt mehrfach, und er schließt eindeutig eine militärische Option ein. Wollen die USA einen neuen Krieg vom Zaun brechen?

„America first“, so lautete das Motto, das Donald Trump vor drei Jahren auf Wahlkampfauftritten wiederholte, bis er schließlich ins Weiße Haus einzog. Und das er, selbst gegen den Widerstand des Pentagon, auch ins Werk setzte, als er die US-Truppen aus Afghanistan und Syrien heimbeorderte.

Doch mit Venezuela war alles anders. Und das schon seit dem Beginn von Trumps Regentschaft. Es gibt eine Reihe von möglichen Erklärungen für dieses gesteigerte Interesse: ?Energiepolitisch: Venezuelas Ölvorräte gelten laut Opec als die reichhaltigsten der Welt. Allerdings ist das Petroleum aus Venezuela extrem zähflüssig und kann deshalb von nur wenigen Raffinerien weiterverarbeitet werden, die zum großen Teil in den USA stehen. Seit den ersten Ölfunden im Maracaibo-See um 1920 sind die Ölwirtschaften der USA und Venezuelas eng verzahnt. ?Geopolitisch: Venezuela ist zum Zentrum chinesischer Interessen in der Region geworden. China und seine Banken haben den stets klammen Chavistas etwa 60 Mrd. Dollar vorgestreckt, welche diese mit Öllieferungen abstottern müssen, noch auf Jahrzehnte. China hat aber auch Interesse an anderen Bodenschätzen, vor allem Gold, Bauxit, Koltan. Zuletzt verstärkten auch die Russen ihr Engagement, vor allem in den Sektoren Öl und Bergbau. ?Ideologisch: Mit antiimperialistischen Parolen und Provokationen ging bereits Hugo Chávez den US-Präsidenten auf die Nerven. Solange Venezuela brav sein Öl lieferte und verlässlich seine Schulden an Wall Street bediente, ignorierten die Nordamerikaner den Rabatz. Doch seit Zahlungen ausfallen und Misswirtschaft die größte Flüchtlingswelle in der Geschichte Amerikas auslöste, sieht Washington rot. ?Sicherheitspolitisch: Kuba, Iran, Syrien, Hisbollah. Venezuelas enge Freundschaft mit ihren erklärten Feinden sehen die USA seit jeher mit großer Beunruhigung. Ebenso die Drogendeals der venezolanischen Militärs mit den kolumbianischen Guerillagruppen Farc und ELN. Hochrangige Chavistas wie Diosdado Cabello, nach Maduro offiziell die Nummer zwei, der ehemalige Vizepräsident Tareck el-Aissami und der Innenminister Néstor Réverol werden von den USA als Köpfe des staatlichen Drogenkartells geführt.

Ein bewegter Donald Trump. All diese Aspekte lagen vor, noch ehe Trump übernahm. Tatsächlich hatte bereits die Regierung Obama eine Venezuela-Strategie ausgearbeitet, die freilich nur in Sanktionen gegen zweitrangige Mitglieder des Maduro-Regimes mündete. Dass Trump nur ein paar Wochen nach seinem Amtsantritt die Aktionen seines Landes deutlich intensivierte, hatte offenbar ein für Trump typisches Motiv: Eine attraktive Frau konnte seinen Beschützerinstinkt wecken.

Der US-Präsident war persönlich bewegt nach dem Oval-Office-Besuch von Lilian Tintori, der attraktiven Ehefrau des unter Hausarrest stehenden venezolanischen Oppositionsführers Leopoldo López. Tintori berichtete Trump von den überharten Haftbedingungen ihres Mannes und von Maduros Weigerung, Hilfsgüter für die notleidende Bevölkerung ins Land zu lassen. Auf dem Twitter-Foto von jenem Meeting am 17. Februar steht die frühere Kitesurfing-Meisterin und TV-Ansagerin Tintori zwischen Trump und Vizepräsident Mike Pence, rechts daneben lächelt Marco Rubio, der Senator aus Florida mit kubanischen Eltern. Er hatte Tintoris Visite organisiert und er wurde in Folge zu Trumps stetem Einflüsterer in Sachen Venezuela.

Bereits Mitte 2017 sei Trump kurz davor gewesen, Maduro den Ölhahn abzudrehen. Das sagte Fernando Cutz, der zum Stab von Trumps erstem Sicherheitsberater Ron McMaster gehörte. Schließlich beließ es Trump im August 2017 mit Sanktionen gegen Venezuelas Finanzsektor und einer heftigen Drohung: Alle Optionen lägen auf dem Tisch, auch die militärische. Ein Ölembargo vermied Washington damals noch, weil, so erklärten Insider, die sozialen Folgen eines solchen Schritts nicht absehbar waren. Und weil es der Opposition an Alternativen fehlte.

Das ist heute anders. Venezuela besitzt nun in Juan Guaidó eine überaus mutige Führungsfigur, die sich auf zwei Verfassungsartikel stützen kann und die, anders als vorherige Oppositionsführer aus der traditionellen Oberklasse, als Sohn eines Taxifahrers und einer Lehrerin in weiten Teilen der Bevölkerung akzeptiert wird.

Aber es gibt noch zwei weitere Gründe: Trump hat im vorigen April sein engstes Umfeld gewechselt. Sowohl der Sicherheitsberater John Bolton als auch Außenminister Mike Pompeo gelten als kompromisslose Hardliner, und beide brachten Verstärkung mit. Bolton machte Mauricio Claver-Carone, Spross einer Castro hassenden kubanischen Dynastie, zu seinem Venezuela-Verantwortlichen, und Pompeo nominierte kürzlich den umstrittenen Diplomaten Eliott Abrams, eine Hauptfigur in Ronald Reagans Iran-Contra-Affäre, zum speziellen Gesandten für Venezuela. Zu diesen Personalien kamen zwei Wahlresultate in Venezuelas Nachbarländern. In Kolumbien regiert nun Iván Duque und in Brasilien Jair Bolsonaro, beide ausgesprochen willige Alliierte der Falkenpartei im Weißen Haus. Während Maduro auch das letzte Geld ausging, formierte sich kurz vor Beginn seiner neuerlichen Amtszeit ein perfekter Sturm.

Zwei Fragen in der Geschichte sind bis heute nicht restlos beantwortet: Wer fand Juan Guaidó? Und wer kam auf die Idee, seine Position mit dem Verfassungsartikel 233 zu verankern?

Guaidó war seit 2015 Mitglied der Nationalversammlung, direkt gewählt in seinem Heimatstaat Vargas. Er war ein jüngeres Mitglied der Fraktion der sozialdemokratischen Partei Voluntad Popular, deren traditionelle Führer entweder unter Arrest standen oder ins Exil fliehen mussten. Maduros Behörden wussten, dass Voluntad Popular Anfang 2019 turnusgemäß den Vorsitz des entmachteten Parlaments übernehmen würde, und die Geheimdiensteverfolgten die wichtigsten Figuren. „Troika des Terrors“. Den Ex-Studentenführer Guaidó übersahen sie, was es diesem ermöglichte, Mitte Dezember über die grüne Grenze nach Kolumbien zu entschwinden und nach Washington zu gelangen, wo er mit dem Generalsekretär der OAS, Luis Almagro, und eben auch mit Trumps Truppe zusammentraf. Hier wurde ein Teil der Strategie festgelegt, der zweite dann in Bogotá mit hohen Vertretern der Lima-Gruppe, jenem Zusammenschluss der wichtigsten Latinos plus Kanadas, der fast geschlossen Guaidó am ersten Tag anerkannte. Als Guaidó am 4. Jänner nach seiner Wahl zum Parlamentspräsidenten Maduro frontal als „usurpador“, also als Thronräuber, angriff, weckte er sein apathisches Land schlagartig auf. Es setzte eine Kettenreaktion ein, deren Ende noch völlig offen ist.

Die Falkenfraktion macht längst keinen Hehl mehr daraus, dass Venezuela nur ihr erstes Ziel ist. Seitdem John Bolton den Begriff „Troika des Terrors“ formulierte, dürfen sich die Herrscher in Kuba und Nicaragua auf einiges gefasst machen. Und auch Boliviens Evo Morales, der sich im Oktober erneut zum Präsidenten wählen lassen will, obwohl ihm ein Referendum 2016 dies klar verbot, sollte in den nächsten Wochen genau beobachten, was „Thronräubern“ widerfahren kann. 

Chronologie

2013 stirbt Hugo Chávez an Krebs. Sein Vize Nicolás Maduro rückt ins Präsidentenamt auf, bei der Wahl im April 2013 siegt er knapp. Im November räumt ihm das Parlament für ein Jahr Sondervollmachten ein, um die Inflation zu bekämpfen und dem Mangel an wichtigen Gütern abzuhelfen.
2014 kommt es zu regierungskritischen Massenprotesten, die sich vor allem gegen die instabilen Verhältnisse im Land richten. Die Sicherheitskräfte schlagen sie nieder, 43 Menschen sterben.
2015 verhängen die USA Wirtschaftssanktionen gegen Regierungsvertreter. Madura erhält vom Parlament weitere Vollmachten, um per Dekret zu regieren.
2017 beginnt eine neue Protestwelle, 125 Menschen werden getötet. Maduro lässt eine ihm gefällige verfassunggebende Versammlung wählen.
2018 wird Maduro für eine weitere Amtszeit gewählt, die Opposition boykottiert die Wahl.
Am 23. 1. 2019 erklärt sich Parlamentspräsident Juan Guaidó zum Übergangspräsidenten. Der Machtkampf geht weiter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.02.2019)

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