Als schonungsloser Alltagsvoyeur inszeniert sich Schauspieler Lars Eidinger auf Instagram. Er gibt hier aber auch viel (nackte Haut) von sich preis. Teil 2 der Stilkritik.
Vergangenen Donnerstag war Lars Eidinger beim Zahnarzt. Das weiß man deshalb, weil er in seinem Livetagebuch auf Instagram einen Miniclip direkt aus dem Zahnarztstuhl gemacht hat. Mit frisch geputzten Zähnen filmte er dann abends auf dem roten Teppich bei der Berlinale-Eröffnung seine Kollegen und zeigte viele kleine Ausschnitte von der (von Anke Engelke moderierten) Gala und der eher öden Party danach.
Lars Eidinger ist Instagram-technisch ein Spätzünder. Erst als ihn das „Zeit Magazin" vor zwei Jahren bat, während der Berlinale eine Woche dessen Instagram-Account zu bespielen, war er angefixt. Heute ist er süchtig und gibt das in Interviews sogar zu. Zunächst dachte man, der Theatermann, der für seine kraftvollen Darstellungen von Hamlet und Richard III. sowie Rollen in Filmen wie „Alle anderen" oder Serien wie „Babylon Berlin" bekannt ist, wolle sich ironisch an dem sozialen Netzwerk abarbeiten.
Ironisch sind seine Posts und Storys aber nicht immer, längst hat sich der Eindruck verfestigt: Dieser Mann nutzt den Kanal vor allem zur Werbung und bisweilen penetranten Ego-Show – und die macht ihm sichtlich Spaß. Man kann ihm beim Filmen des eigenen Spiegelbilds in der Maske oder bei der Demontage der Maske nach der Vorstellung zusehen, beim Posieren mit Kollegen wie Birgit Minichmayr, auf Fotos aus Theaterszenen oder Autogrammkarten – erstaunlicherweise ist er darauf sehr oft nackt zu sehen (wie das Bild oben).
Weil Eidinger nicht nur Jurymitglied der Berlinale ist, sondern auch beachtlich viel arbeitet und reist, werden seine Insta-Storys mit bis zu 30 kurzen Clips (die nur 24 Stunden sichtbar sind) selten langweilig. Zwischendurch lenkt er den Blick auf die oder das, was hier sonst eher keine Lobby hat: Obdachlose in Downtown L.A., triste Straßeneinöde in französischen Provinzstädtchen. Seit einiger Zeit hat Eidinger auch ein drittes Standbein: Musik auflegen. Er nimmt seine gut 75.500 Follower auf Instagram auch hier mit. Mittlerweile haben seine Videoschnipsel von diesen Disconächten Kultstatus erreicht, die von bis zu 20.000 Menschen angesehen werden, wie er selbst nicht ohne Stolz erzählt. Wenn er wieder bei irgendeiner Berliner Kulturparty auflegt, wie am Samstag nach der Berlinale-Premiere seines neuen Films „All My Loving", bedrängen ihn Frauen wie Männer mit ihren – ins Smartphone getippten – Musikwünschen und nehmen dabei in Kauf, von ihm gefilmt und in seinem Insta-Profil gezeigt zu werden. Dazwischen hält er die Kamera auf die Tanzenden, egal, ob sie sich beobachtet fühlen oder nicht.
Immerhin ist Eidinger konsequent: Der schonungslose Alltagsvoyeur gibt im Gegenzug nämlich auch viel – sehr viel – von sich preis. Ihm ist nichts peinlich, schon gar nicht sein Geltungsdrang. Nur seine Tochter und seine Ehefrau, Opernsängerin Ulrike Eidinger, lässt er völlig draußen aus seiner Social-Media-Show. Ganz anders als Anna Netrebko, deren Profil wir in der Vorwoche vorgestellt haben.
Bei der Berlinale live dabei
Dafür filmt Eidinger bei Interviews gern die Journalisten, während sie ihm neuerdings mehr Fragen zu seinen Instagram-Aktivitäten statt zu seinen neuesten Filmen stellen. Ab Sonntag ist er in der Serie „M – eine Stadt sucht einen Mörder" auf ORF zu sehen. Die Serie von David Schalko und Evi Romen hat am Dienstag in Berlin Premiere. Und wie die Party war, erfahren wir sicher von Eidinger.
Wer ist das?
Lars Eidinger (* Jänner 1976 in Berlin) ist einer der umtriebigsten Schauspieler Deutschlands. Er ist sowohl im Film als auch im Theater tätig und dort vor allem für seine Darstellung von Hamlet (seit 2010) und Richard III. (seit 2015) an der Berliner Schaubühne bekannt. Seine erste größere Filmrolle war in Maren Ades „Alle anderen“ an der Seite von Birgit Minichmayr. Eine Hauptrolle spielt er nun neben Verena Altenberger in der neuen Serie von David Schalko, „M – eine Stadt sucht einen Mörder“, die am Dienstag in Berlin Premiere feiert.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.02.2019)