Löhne: Spaniens Mindestlohnexperiment

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Seit 2019 sind die Mindestlöhne um 22 Prozent höher als zuvor. Kritiker warnen vor Jobverlusten. Freuen kann sich hingegen die EZB: Die Inflation wird endlich steigen.

Madrid/Wien. Während am Wochenende Zehntausende Spanier in Madrid gegen die Minderheitsregierung von Pedro Sánchez auf die Straße gegangen sind, läuft ein ökonomisches Experiment des Sozialisten auf vollen Touren: Mit Jahreswechsel hat er die Mindestlöhne in Spanien per Dekret um ein knappes Viertel (22 Prozent) nach oben gesetzt. Die spanische Notenbank und der Internationale Währungsfonds warnten vor diesem sprunghaften Anheben. Vor allem junge Menschen hätten dadurch noch weniger Chance, einen Arbeitsplatz zu finden.

Kritiker werfen Sánchez vor, sich mit der symbolträchtigen Aktion nur die Stimmen der linksgerichteten Wählerschaft erkaufen zu wollen – und dafür das wirtschaftliche Wohl des Landes aufs Spiel zu setzen. Die Regierung weist derlei Anschuldigungen hingegen von sich. Sie rechnet damit, dass sich die höheren Mindestlöhne direkt in mehr Konsum und somit in mehr Arbeitsplätze niederschlagen werden.

Das Potenzial zur Wählermobilisierung ist jedenfalls groß. Acht Prozent der Beschäftigten im Land profitieren unmittelbar von der Erhöhung ihrer Mindestlöhne von 736 auf 900 Euro im Monat. Das sind immerhin 10,2 Millionen mögliche Wählerstimmen. In Spanien stehen neben der Europawahl im Mai auch Kommunal- und Regionalwahlen an. Spekuliert wird zudem, dass Sánchez vor dem regulären Termin 2020 eine Parlamentswahl ansetzen könnte.

Paris, Athen und jetzt Madrid

Spanien ist nicht das erste Land, das sich derzeit für eine drastische Erhöhung der Mindestlöhne entscheidet. Auch in Frankreich, Griechenland und Nordamerika haben die Regierungen die Mindestlöhne angehoben, um so einer breiteren Lohnerhöhung den Weg zu ebnen.

Über die ökonomischen Folgen herrscht Uneinigkeit. Die spanische Notenbank rechnet damit, dass der erhöhte Mindestlohn allein heuer 125.000 Arbeitsplätze im Land vernichten könnte, räumt aber ein, dass es keinerlei Erfahrungen mit derart hohen Lohnsprüngen gebe. Die spanische Bank BBVA sieht gar 160.000 Arbeitsplätze in Gefahr. Die unabhängige Finanzaufsicht Airef sagte hingegen lediglich einen Verlust von 40.000 Arbeitsplätzen voraus.

Jede dieser Prognosen ist kritisch für das Land, das heute schon die zweithöchste Arbeitslosenrate in der Eurozone aufweist. Zudem schwindet zusehends die Hoffnung, dass zusätzlicher Konsum die negativen Folgen der Entscheidung ausgleichen könnte, da Spanien – wie der Rest Europas – gerade in eine konjunkturelle Schwächephase rutscht.

Die spanischen Unternehmen reagieren bereits auf die Mehrkosten und erhöhen ihre Preise. Das könnte zumindest die Europäische Zentralbank freuen, die seit Jahren vergeblich versucht, die Inflationsrate im Euroraum Richtung zwei Prozent zu heben. Derzeit liegt die Kerninflationsrate im Währungsraum bei 1,1 Prozent. In Spanien ist sie noch tiefer. (auer/ag)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.02.2019)

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