Der Kampf um das Dorf Baghuz könnte das Ende des Kalifats besiegeln – jedoch nicht das Ende des IS.
Istanbul. In einem kleinen Dorf am Euphrat könnte in diesen Tagen das Schlusskapitel des Kalifats des sogenannten Islamischen Staates in Syrien geschrieben werden. Am Wochenende begannen amerikanische Kampfjets und kurdische Bodentruppen mit einer Offensive auf die Gegend um die Ortschaft Baghuz im Südosten von Syrien an der irakischen Grenze – es ist die letzte Enklave des IS. Schätzungsweise 500 bis 600 IS-Kämpfer haben sich mit ihren Familien in das Dorf verschanzt. Darunter befinden sich kriegserfahrene Extremisten, die sich entschlossen haben, bis zum bitteren Ende Widerstand zu leisten.
Auf dem Höhepunkt ihrer Schreckensherrschaft im Jahr 2015 kontrollierten die Jihadisten große Teile von Zentral- und Ostsyrien sowie der westlichen Provinzen des Nachbarn Irak. Der Anfang vom Ende für das Kalifat kam, als sich die USA mit der syrischen Kurdenmiliz YPG verbündeten. In den vergangenen drei Jahren ist der IS durch Luftschläge der USA und anderer westlicher Staaten sowie die Angriffe der kurdischen Verbände am Boden immer weiter zurückgedrängt worden. Im Irak setzten Offensiven der irakischen Armee und pro-iranischer Milizen dem Islamischen Staat zu. Der Widerstand der verbleibenden IS-Trupps bei Baghuz werde möglicherweise schon in den kommenden Tagen gebrochen, sagte ein kurdischer Kommandeur der Nachrichtenagentur AFP.
Die Angreifer haben mit dem Beginn ihrer Schlussoffensive eine Woche gewartet, um Zivilisten die Möglichkeit zu geben, die Gegend zu verlassen. Nach unbestätigten Berichten bitten einige IS-Mitglieder um freies Geleit in die von islamistischen Rebellen kontrollierte Provinz Idlib im Westen Syriens. Andere Kämpfer lehnen es ab, sich zu ergeben. Fliehen können sie nicht: Pro-iranische Milizen und französische Truppen riegeln die irakische Seite der Grenze ab.
Ist al-Baghdadi in den Irak geflohen?
Eine Einnahme von Baghuz durch die Kurden wäre das Ende des Kalifats – aber nicht das Ende des IS. In der zentralsyrischen Badia-Wüste halten sich noch einige Verbände der Extremisten auf, auch wenn sie dort kein Gebiet mehr völlig kontrollieren können. IS-Anhänger verüben zudem immer wieder Terroranschläge in Teilen von Syrien, aus denen die Extremisten längst vertrieben worden sind.
Indessen ist auch unklar, wo sich IS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi versteckt hält. Möglicherweise ist der 47-Jährige über die syrische Grenze in seine Heimat Irak geflohen. In Syrien sei er jedenfalls wohl nicht mehr, sagte der kurdische Militärsprecher Mustafa Bali laut AFP. Der „Guardian" berichtete, ausländische IS-Kämpfer hätten aus derzeit unbekannten Gründen in Baghuz einen Mordanschlag auf al-Baghdadi verübt, der aber fehlgeschlagen sei. Nach einem Feuergefecht mit den Attentätern sei er im Jänner von seinen Leibwächtern in ein Versteck in der Wüste gebracht worden.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.02.2019)