Was will der Weißwähler?

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Die Grünen sehen ihn als Gefahr für die Demokratie, in der ÖVP hat er aber Saison: Der Weißwähler. Was treibt einen Bürger an, der nicht Fischer, Rosenkranz oder Gehring, sondern ganz einfach ungültig oder gar nicht wählt?

Gabor Steingart, langjähriger Journalist des „Spiegel“, ist angewidert von der Politik: Er hat 2009 vor der deutschen Bundestagswahl eine Abrechnung mit den Parteien herausgebracht. „Die gestohlene Demokratie“ heißt die aktualisierte Neuauflage seiner Schelte „Die Machtfrage“. Untertitel: „Ansichten eines Nichtwählers“.

Steingart, seit Kurzem Chefredakteur der Tageszeitung „Handelsblatt“, sieht die Demokratie in seinem Land erstarrt. Die Parteien seien nicht mehr repräsentativ, aber ihr Machtanspruch sei ungebrochen. Zu Koalitionen schreibt er: „Früher hielt man sich gegenseitig in Schach, heute hält man sich aneinander fest.“

So outet sich Steingart als einer der vielen Nichtwähler, als Kämpfer wider den Parteienstaat. Der wahre Demokrat drücke sein Unbehagen am besten dadurch aus, dass er weiß wähle. So signalisiert er prägnant, dass er die Tugend der Demokratie hochhält und die Untugenden der Parteien geißelt.

Gewissenlos oder gewissenhaft?

Wie aber ist das Ungültigwählen, das in Österreich derzeit stark diskutiert wird, bei der bevorstehenden Wahl des Bundespräsidenten zu bewerten? Glaubt man den Grünen, die eine Wahlempfehlung für den sozialdemokratischen Amtsinhaber Heinz Fischer abgegeben haben, so bewegt sich ein Weißwähler am Rande der Wiederbetätigung. Glaubt man der ÖVP, dann ist dieses Verhalten in ihren Kreisen wohlgelitten.

Oder ist der Weißwähler ein gewissenhafter Bürger, der seinen Protest gegen das Fehlen geeigneter Kandidaten kundtut? Immerhin: Er geht zur Wahl, weil ihm das Amt des Bundespräsidenten offenbar wichtig genug ist. Schließlich wird der erste Mann, die erste Frau im Staat direkt vom Volk gewählt. Einmal alle sechs Jahre geht es um eine Persönlichkeit, die – im Gegensatz zu den Parlamentsabgeordneten – über dem Klub- und Koalitionszwang steht.

Die Wahl des Bundespräsidenten ist noch immer beliebt. Gut, in den Fünfzigerjahren, als es noch die Wahlpflicht gab, gingen 96 bis 97Prozent der Wähler zu den Urnen. Aber bei Kurt Waldheim 1986 waren es noch immer 89 Prozent. Nur bei Wiederwahlen war die Beteiligung geringer, vor allem, wenn es bloß einen Kandidaten der Großparteien gab. 1992 bei der Wahl von Klestil waren es 81 Prozent; 1998, als er keinen konkurrenzfähigen Gegenkandidaten hatte, immer noch 74 Prozent. Bei Fischers Wahl 2004 betrug die Beteiligung 71,4 Prozent: Sieben von zehn Wählern halten dieses mit hoher moralischer Autorität ausgestattete Amt also in Ehren.

Postdemokratische Zustände

Zum Vergleich: Bei den Nationalratswahlen 2006 und 2008 blieben rund 23 von hundert Wahlberechtigten der Abstimmung fern oder wählten ungültig. Damit sind die Weiß- und Nichtwähler den etablierten einstigen Großparteien, die heute nur noch um die Erreichung der 30-Prozent-Marke kämpfen, bereits ziemlich nahegekommen. Bei der nächsten Nationalratswahl könnte es diese Gruppe der Unzufriedenen schaffen, die Parteien zu überflügeln.

Die liberalen Demokratien erleiden einen Bedeutungsverlust, die Politik verliert für das individuelle Leben an Einfluss. Eine Erklärung für diese Verdrossenheit liefert der amerikanische Politologe G. Bingham Powell in „Elections as Instruments of Democracy“: Wahlen verlieren an Bedeutung, weil auch Politik und Staat für die Gestaltung von Lebensbedingungen nicht mehr so wichtig sind, wenn sich politische Institutionen reinen Marktprinzipien annähern.

Die Maximierung des individuellen Nutzens habe eben auch im Wahlverhalten Vorrang vor öffentlichen Gütern oder Solidarität. So urteilt auch der britische Politologe Colin Crouch, ein Kritiker des reinen Marktes und der PR-dominierten Spektakelpolitik. Er ordnet das Nicht- oder Weißwählen in die von ihm diagnostizierte „Post-Democracy“ ein.

AUF EINEN BLICK

Niedrige Wahlbeteiligung. Experten rechnen für die Wahl am 25. April mit einem deutlichen Absinken der Wahlbeteiligung. Bei der letzten Bundespräsidentenwahl im Jahr 2004 lag sie bei 71,60 Prozent.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.04.2010)

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