Die ÖVP empfiehlt den Protest gegen sich selbst

Hinter der parteitaktischen Debatte über Weiß- und Nichtwähler lauert ein ziemlich ernsthaftes Problem.

Alexander Van der Bellen wurde am Samstag an dieser Stelle scharf kritisiert, weil er in der „Presse“ erklärt hatte, ihm seien ein paar ehrliche Neonazis immer noch lieber als ein paar pseudobürgerliche ÖVP-Politiker, die weder Barbara Rosenkranz noch Heinz Fischer wählen wollen. Nachdem sich seine Nachfolgerin Eva Glawischnig am Montag in derselben Sache zu Wort gemeldet hat, muss man den Professor um Entschuldigung bitten. Van der Bellen hat eine überzogene sarkastische Bemerkung gemacht, über die man streiten kann, Glawischnig hat gezeigt, dass sie auch dann, wenn sie ohnehin nur ungefähr dasselbe sagen will wie ihr Vorgänger, außer hohlen Phrasen nichts zu sagen hat. Die „Äquidistanz“, mit der die ÖVP dem Amtsinhaber und der FPÖ-Spitzenkandidatin begegne, sei eine „Verharmlosung des Nationalsozialismus“, erklärte Glawischnig.

Natürlich sagt es etwas über Österreich – und zwar nicht unbedingt viel Gutes –, dass bei dieser Wahl neben dem Amtsinhaber mit Barbara Rosenkranz und Rudolf Gehring zwei Kandidaten antreten, die auf unterschiedliche Weise Positionen vertreten, die sich mit so etwas wie einem bürgerlichen Common Sense schwer in Einklang bringen lassen. Aber es sagt mindestens ebenso viel über Österreich – und zwar nicht unbedingt Gutes –, dass die Bundessprecherin und Klubobfrau einer Parlamentspartei, die sich selbst nicht zur Aufstellung eines Kandidaten oder einer Kandidatin entschließen wollte, ihre Wahlempfehlung für den amtierenden Bundespräsidenten mit Gesinnungskitsch der dümmsten Sorte begründet.


Die Wahlempfehlung der Grünen für Fischer ist dennoch nicht nur legitim, sondern auch naheliegend: Die gegenwärtige Parteiführung und der amtierende Präsident teilen ein Weltbild, das sich aus marxistischen, humanistischen und pragmatischen Bausteinen zusammensetzt. Dieses Bild gewinnt seine Kontur vor allem dadurch, dass andere Überzeugungen wahlweise als Chauvinismus, Rassismus, Fundamentalismus oder eben als Verharmlosung des Nationalsozialismus denunziert werden.

Van der Bellen wäre im Unterschied zu seiner Nachfolgerin vermutlich auch in der Lage, jene Diskussion zu führen, die hinter der von ihm angestoßenen Weiß-Wähler-Schelte steckt. Sie dreht sich um das Verhältnis zwischen Bürger und Staat in einem von Parteiapparaten und außerparlamentarischen Interessenvertretungen dominierten System. Nichtwählen und Weißwählen haben sich im Lauf der Jahrzehnte als Ersatzhandlungen für das herauskristallisiert, was an sich zur Grundausstattung liberaler Demokratien gehört, in Österreich aber nicht vorgesehen ist: jemanden abzuwählen. Es ist natürlich eine paradoxe Ersatzhandlung, weil beide Formen des Protests die Position derer, gegen die man protestieren will, stärkt, vor allem bei den Wahlen zum österreichischen Nationalrat: So kommen die Parteiapparatschiks und ihre Kandidatenmarionetten noch leichter zur nötigen Mehrheit.


Für die Bundespräsidentenwahl gilt das schon etwas weniger, weil es sich ja immerhin um die einzige Persönlichkeitswahl auf Bundesebene handelt. Dass weder die ÖVP noch die Grünen für diese Wahl eine Kandidatin oder einen Kandidaten nominiert haben, zeugt von einer gewissen Geringschätzung des Amtes. Gegen die Wahlempfehlung der Grünen spricht also – neben der inhaltlichen Übereinstimmung mit Fischer – auch aus struktureller Sicht nichts: Wenn eine Partei kein eigenes Angebot für das höchste Amt im Staate hat, möchte man doch wissen, welches der anderen Angebote in den Augen der eigenen Partei attraktiv erscheint.

Das Hauptproblem bei dieser Wahl hat damit die ÖVP: Sie hat weder einen eigenen Kandidaten noch eine Wahlempfehlung. Und ihre Empfehlung, weiß zu wählen, ist zwar nicht ganz so jenseitig wie das rot-grüne Moralgesumse, aber auch problematisch, weil es die inhaltliche Botschaft der Weiß- und Nichtwähler missversteht. Der Weiß- und Nichtwähler will den Parteien sagen, dass ihr Angebot ungenügend ist. Wenn Spitzenrepräsentanten der ÖVP nun ihren Anhängern empfehlen, bei dieser Wahl weiß zu wählen, empfehlen sie den Protest gegen sich selbst. Nieder mit uns – hübsche Parole.

Nicht, dass dieser Protest nicht angebracht wäre. Aber der Vorgang zeigt, dass die Diskussion über Weiß- und Nichtwählen bei dieser mäßig spannenden Wahl eigentlich den Nerv unseres politischen Systems trifft: Die Parteien leben in einem Paralleluniversum und verstehen nicht mehr, worum es den Bürgern geht.


michael.fleischhacker@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.04.2010)

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