Beginn einer neuen Ära in Ungarn

Orban.
Orban.(c) REUTERS (KAROLY ARVAI)
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Nicht nur der Erdrutschsieg des konservativen Fidesz markiert eine Zeitenwende. Zwei neue Parteien ziehen ins Parlament: die rechtsradikale Jobbik und die Grünen.

BUDAPEST. In Ungarn ist bei der Parlamentswahl am Sonntag kein Stein auf dem anderen geblieben. Noch nie hat es seit den ersten freien Wahlen im Jahr 1990 eine vergleichbar dramatische Umwälzung gegeben.

Nach ihrem Erdrutschsieg können die rechtskonservativen Jungdemokraten (Fidesz) unter Viktor Orbán in den kommenden vier Jahren ohne Koalitionszwang regieren. Dies ist insofern ein Novum, als es seit der Wende 1989 nur Regierungskoalitionen gab. Noch dazu ist eine parlamentarische Zweidrittelmehrheit für Fidesz in greifbarer Nähe, wenn sich die Partei in der zweiten Wahlrunde am 25. April ähnlich fulminant wie am Sonntag schlägt. In zwei Wochen geht es noch in insgesamt 57 Einzelwahlkreisen in die Stichwahl. 119 der insgesamt 176 Einzelwahlbezirke konnten die Kandidaten des Fidesz bereits in der ersten Wahlrunde für sich entscheiden.

Sozialisten vor Spaltung

Mit einer Zweidrittelmehrheit könnte Orbán endlich all jene Strukturreformen anpacken, die seit vielen Jahren der Umsetzung harren und Ungarn endlich zu einem modernen und leistungsfähigen Staat machen würden. Die abgewählten Sozialisten (MSZP) werden zwar nicht müde, die Gefahr eines Demokratieabbaus an die Wand zu malen. Doch diese Kassandrarufe sind nicht mehr als wahltaktische Panikmache. Zudem hat Viktor Orbán am Wahlabend selbst erklärt, dass er und seine Partei „mit Bescheidenheit und Demut“ regieren wollen.

Für die Sozialisten markierte der Sonntag eine historische Niederlage. Der MSZP kehrten nicht weniger als 1,3 Millionen Wähler den Rücken, wodurch sich ihr Stimmenanteil mehr als halbierte. Angesichts der verheerenden Niederlage hat MSZP-Spitzenkandidat Attila Mesterházy schon am Sonntag verkündet, dass kein Weg an einer Erneuerung seiner Partei vorbeiführe. Ob Mesterházy selbst beim Neuaufbau der MSZP federführend sein wird, ist aber fraglich. Laut Medienberichten bastelt Exregierungschef Ferenc Gyurcsány (2004 bis 2009) bereits fieberhaft an einem Comeback.

Sollte er tatsächlich an die Spitze der Sozialisten zurückkehren wollen, wird er wohl versuchen, Mesterházy aus dem Feld zu schlagen. Wer ihn kennt, weiß nämlich, dass der Egozentriker Gyurcsány keine zweite Führungsfigur duldet. Fachleute schließen sogar eine Spaltung der MSZP nicht aus.

Die Wahl am Sonntag läutete auch in einer anderen Hinsicht eine Zeitenwende ein: Während zwei historisch bedeutende Parteien aus dem Parlament ausschieden, zogen zwei neue Kräfte ein. Die system- und romafeindliche rechtsradikale Partei Jobbik („Für ein besseres/rechteres Ungarn“) ritt auf einer Welle des Volkszorns ins Parlament. Jobbik wurde vor allem von Menschen gewählt, die in rückständigen Regionen leben und sich von den etablierten Parteien in ihrem sozialen Elend im Stich gelassen fühlen. Die Partei wird sich voraussichtlich auch im Parlament als Fürsprecher des „kleinen Mannes“ gebärden, die „denen da oben“ die Leviten liest.

Aus für zwei historische Kräfte

Eine der größten Überraschungen war der Parlamentseinzug der Grünpartei LMP („Eine andere Politik ist möglich“). Erst im Vorjahr gegründet, erreichte sie auf Anhieb knapp 400.000 Wählerstimmen (7,44 Prozent). Die LMP ist damit die erste Ökopartei im ungarischen Parlament. Auch sie wurde von enttäuschten Wählern in die Legislative gehievt: von liberal gesinnten Akademikern und Städtern. In Budapest etwa erreichte die LMP mehr als zwölf Prozent der Wählerstimmen.

Die allgemeine Unzufriedenheit mit dem Establishment forderte ihre Opfer: Das Wahlbündnis des konservativen Ungarischen Demokratenforums (MDF) mit dem liberalen Bund der Freien Demokraten (SZDSZ) scheiterte an der Fünfprozenthürde. Ihr Rausfall ist deshalb historisch, weil sich beide Parteien in die Annalen der jüngeren ungarischen Geschichte eintragen konnten: Während das MDF die ersten freien Wahlen nach der Wende gewann und zwischen 1990 und 1994 die erste demokratisch gewählte Regierung des Landes stellte, waren die Freien Demokraten die treibende Kraft hinter der demokratischen Transformation in Ungarn. Darüber hinaus saßen die Liberalen in drei Legislaturperioden mit den Sozialisten im Regierungsboot, 1994 bis 1998 und 2002 bis 2009. Jetzt ist ihre Ära vorbei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.04.2010)

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