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Papst Franziskus, ein Gefangener im Missbrauchsstrudel

Beim Bischofstreffen in Rom reichen Worte längst nicht. Es müssen Taten folgen. Dass sie radikal sein müssen, daran führt kein Weg vorbei.

Die Vorzeichen sind, man muss es so deutlich sagen, wenig verheißungsvoll. Da wird tiefgestapelt bis zum Abwinken. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht eine Eminenz oder Exzellenz aus diesem oder jenem Land mehr oder weniger explizit vor überzogenen Erwartungen warnt. Ab Donnerstag treffen also die Chefs der Bischofskonferenzen aller Welt im Vatikan mit römischen Kurialen zum Thema Nummer eins der vergangenen Monate, nein Jahre zusammen, zum Missbrauch an Kindern und Jugendlichen, begangen durch Priester.

Endlich! Unter strengen Augen betrachtet – und wer könnte angesichts der Fälle nicht strengste Maßstäbe anlegen? – ist allein die Tatsache, dass diese Konferenz so spät stattfindet, ein Ärgernis an sich. Ebenso das Faktum, wie viel Zeit sich die nationalen und internationalen Kirchenspitzen nun zu nehmen gedenken: läppische dreieinhalb Tage werden also für die Schicksale Abertausender Opfer reserviert. Lange Pause. Und für ein Thema, das die Glaubwürdigkeit und Autorität der katholischen Kirche in den Grundfesten erschüttert. Für einen Verrat, den Priester, vom Kaplan, Landvikar bis hinauf in den Bischofs-, in den Erzbischofs- und Kardinalsrang begangen haben.

Nur so zum Vergleich: Für die Jugendsynode hat man zuletzt nicht dreieinhalb Tage, sondern dreieinhalb Wochen Bischöfe sowie Experten im Vatikan versammelt. Schwer verständlich, weshalb damals im Oktober vergangenen Jahres nicht auch der Missbrauch durch Priester und Ordensleute mitberaten wurde. Als ob Jugendliche heute ganz und gar nicht mehr davon betroffen wären!

Doch davon abgesehen darf es nicht reichen, wie das im Vorfeld formuliert wird, die Bischöfe aller Länder auf denselben Wissensstand zu bringen (was genau ist bei diesem Thema nicht zu verstehen?) und zu „sensibilisieren“. Ernsthaft jetzt? Darf es tatsächlich sein, dass es heute katholische Priester gibt – von Bischöfen gar nicht zu sprechen –, die diesbezüglich zu „sensibilisieren“ sind. Wohltuend offene Worte erst neulich von Kardinal Christoph Schönborn lassen diesen Verdacht zur Gewissheit werden. Wenn es aber tatsächlich in einem nicht näher genannten Land „im Süden“ einen Bischof gibt, der trotz des Hinweises eines Kardinals nichts gegen einen Missbrauchstäter unternimmt, dann müsste Rom handeln. So, wie ja auch die Kirchenzentrale unter den Vorgängern von Papst Franziskus in nicht einmal ansatzweise zu vergleichenden Fällen gehandelt hat. Wenn es zum Beispiel um Buchpassagen ging, die der Glaubenskongregation missfielen.

Der Papst muss, wie er es vereinzelt schon getan hat, seine gesamte Amtsgewalt einsetzen – praktischerweise vereint er Exekutive, Legislative und Judikative (wie lang eigentlich noch?) – und Bischöfe oder Priester bestrafen, zum Rückzug veranlassen, selbst des Amtes entheben oder degradieren. Gleichzeitig führt an radikalen strukturellen Änderungen der katholischen Kirche kein Weg vorbei. So wichtig die Kurienreform ist, mit der sich der Papst samt einigen handverlesenen getreuen Purpurträgern seit Jahren herumquält, jetzt müssen Nägel mit Köpfen gemacht werden. Eine eigene Behörde, ein Gericht oder eine Kongregation sollte ausschließlich für Fälle von Missbrauch und für Prävention geschaffen werden. Es wäre ein sichtbares Zeichen nach innen wie nach außen, dass der Kampf gegen (sexuelle) Gewalt, begangen durch von der Kirche Beauftragte, nicht nur irgendwie neben dem Tagesgeschäft unter „ferner liefen“, sondern mit aller Entschiedenheit geführt wird. Vor Beginn einer Priesterausbildung und vor einem Eintritt in einen Orden müssten Kandidaten verpflichtend unabhängige psychologische Gutachten über die Eignung vorlegen. Und die Kontrolle von Priestern und Bischöfen bedarf einer völligen Neuaufstellung. Sie versagt ja nicht ausschließlich in Missbrauchsfällen. Dass der Papst oder eine Kongregation über mehr als 5000 Bischöfe, die es weltweit gibt, nicht auch nur ansatzweise Aufsicht ausüben kann, wird selbst Träumern klar sein.

Der Worte sind genug gewechselt. Nun muss der Papst Taten folgen lassen. Es ist spät. Noch ist es nicht zu spät.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.02.2019)