Amazons Rückzieher in New York

Einige sahen in der geplanten Amazon-Zentrale wirtschaftliche Chancen. Andere prangern die Ausbeutung und den unternehmerischen Geiz des Konzerns an.
Einige sahen in der geplanten Amazon-Zentrale wirtschaftliche Chancen. Andere prangern die Ausbeutung und den unternehmerischen Geiz des Konzerns an.(c) APA/AFP/GETTY IMAGES/Drew Angere (Drew Angerer)
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Die Geschichte rund um den New Yorker Standort des Giganten ist eine dramatische. Sie handelt von einem Stadtviertel, das durch Himmel und Hölle gejagt wurde, und von Politikern, die sehr viel vergeigten.

New York. Wer bei Jeff Bezos für ein Jobinterview antritt, sollte seine Hausaufgaben gemacht haben. „Liegen Sie oft falsch?“, pflegt der reichste Mann der Welt gern zu fragen. Die richtige Antwort: „Ja, ständig.“ Es ist nämlich so: Der Gründer des Handelsgiganten Amazon rühmt sich damit, vorgefertigte Pläne gern über Bord zu werfen – koste es, was es wolle. „Wer oft recht hat, ändert oft seine Meinung“, lautet eines der bekanntesten Zitate des Multimilliardärs.

Nun hat Bezos seine Meinung geändert, und zurück bleibt ein Viertel in New York, das innerhalb von Monaten mehrmals Himmel und Hölle durchlebt hat. In Long Island City im Stadtteil Queens wollte Amazon eine neue Firmenzentrale bauen. Von Investitionen von drei Mrd. Dollar war die Rede, 25.000 Jobs hätten entstehen sollen. Im Gegenzug versprachen die Entscheidungsträger der Stadt New York und des gleichnamigen Staates milliardenschwere Steuererleichterungen, auf viele Jahre verteilt.

Das war im November. Was seitdem folgte, war unschön. Viele Lokalpolitiker fühlten sich aus dem Entscheidungsprozess ausgeschlossen. Demonstrationen wurden organisiert. Warum gewähren Bürgermeister Bill de Blasio und Gouverneur Andrew Cuomo dem steinreichen Konglomerat solche Anreize, wurde gefragt. Bis vor Kurzem schien es sich um Querschüsse zu handeln, die am Endergebnis nichts änderten. Am späten Donnerstag platzte dann die Bombe: „Nach langer Überlegung haben wir entschieden, unsere Pläne einer Zentrale in Long Island City, Queens, nicht weiter zu verfolgen“, verlautete der Konzern.

In den Straßen des Stadtviertels, nur eine kurze Fahrt mit der U-Bahn-Linie 7 von Midtown Manhattan entfernt, bleibt man ratlos zurück. Um bis zu ein Drittel schossen die Immobilienpreise seit November in die Höhe. Entwickler stürmten in die Gegend, der Bereich um den Wolkenkratzer am Square Court, wo derzeit noch die Bank Citigroup haust, gleicht einer großen Baustelle. Und nun? Droht der Verfall. Die meisten Projekte werden wohl fertig gebaut. Doch wird die Nachfrage zurückgehen, zumal auch Citigroup im kommenden Jahr Long Island City verlassen will.

„Heute hat eine Gruppe engagierter, gewöhnlicher New Yorker den unternehmerischen Geiz von Amazon, die Ausbeutung seiner Mitarbeiter und die Macht des reichsten Mannes der Welt zurückgeschlagen“, verlautete die Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez, die im Kampf gegen die Zentrale federführend war. Spätestens jetzt ist klar: Die Angelegenheit rund um Amazon ist auch eine höchst politische. Kaum ein Beispiel beschreibt den Richtungsstreit innerhalb der demokratischen Partei besser.

Junge wollen Partei nach links ziehen

Auf der einen Seite stehen alteingesessene Parteigranden wie de Blasio, Cuomo und der New Yorker Senator Chuck Schumer. Sie sind liberal, bieten dem Präsidenten Donald Trump die Stirn, setzen sich für die gleichgeschlechtliche Ehe und das Verbot von Waffen ein. Gleichzeitig verstehen sie etwas von der Wirtschaft, verteufeln wie die Republikaner den Sozialismus und sind sich bewusst, dass Amazon New York, das viel höhere Steuern als andere Staaten einhebt, nur berücksichtigte, weil Erleichterungen versprochen wurden.

Auf der anderen Seite steht eine Garde junger Demokraten, die die Partei nach links ziehen wollen. Allen voran die 29-jährige Ocasio-Cortez. Sie weiß die Organisation der Demokratischen Sozialisten Amerikas hinter sich, gemeinsam hat man sich gegen die Ansiedelung Amazons gestellt. Der Schaden ist groß, Millionen wurden zur Vorbereitung in die Hand genommen. Jene, die den Plan zerstörten, sollen nun „für die verlorene wirtschaftliche Chance zur Verantwortung gezogen werden“, richtete Cuomo seinen Parteikollegen aus.

Was bleibt, ist die Ernüchterung. Obwohl zwei Drittel der New Yorker die Ansiedelung guthießen. „Manche Politiker haben klargemacht, dass sie unsere Präsenz nicht wollen“, so Amazon. Den Bau seiner zweiten neuen Zentrale in Arlington bei Washington werde der Weltkonzern jedenfalls unverändert vorantreiben.

AUF EINEN BLICK

Der Internetkonzern Amazon wollte seine neue zweite Firmenzentrale in Long Island City im New Yorker Stadtteil Queens bauen. Von Investitionen in Höhe von drei Milliarden Dollar war rund um die Pläne die Rede. Daraus wird nun nichts. Nach langer Überlegung habe man entschieden, die Pläne nicht weiter zu verfolgen, teilte Amazon am Donnerstag mit. Die Immobilienpreise waren seit November um bis zu ein Drittel in die Höhe geschossen.

Nun droht der Verfall. Teile der demokratischen Partei feiern das als Erfolg, andere beklagen die verlorenen wirtschaftlichen Chancen. Den Bau seiner zweiten neuen Zentrale in Arlington bei Washington werde der Konzern weiter vorantreiben, teilte Amazon mit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.02.2019)

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