Kirche zahlte 27 Millionen an Missbrauchs-Opfer

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2010 wurde die Klasnic-Kommission von Kardinal Schönborn eingesetzt. Seitdem wurden knapp 2000 Opfern - zwei Drittel davon Männer - finanzielle oder therapeutische Hilfsleistungen zuerkannt. Eine Opfer-Plattform fordert indes eine Gedenkstätte.

Die von Kardinal Christoph Schönborn beauftragte "unabhängige Opferanwaltschaft" hat seit ihrer Gründung 2010 in 1.974 Fällen positiv entschieden. In weiterer Folge wurden durch die römisch-katholische Kirche Hilfsleistungen - finanziell oder therapeutisch - in der Höhe von 27,3 Mio. Euro zuerkannt. 66,4 Prozent der Betroffenen, die sich gemeldet haben, waren Männer.

Die direkten finanziellen Entschädigungen an die Opfer betrugen seit Bestehen der Klasnic-Kommission 21,7 Mio. Euro. Zusätzlich wurden rund 60. 000 Therapiestunden umgesetzt, deren Kosten sich auf 5,5 Mio. Euro belaufen. Die meisten gemeldeten Vorfälle liegen Jahrzehnte zurück: 37,4 Prozent der Übergriffe gab es in den 1960er-Jahren, weitere 31,3 Prozent in den 1970er-Jahren. Der Anteil der Übergriffe ab dem Jahr 2000 ist nur mehr 0,8 Prozent.

Großteil sechs bis zwölf Jahre

78 Prozent der an die Opferschutzanwaltschaft gemeldeten Missbrauchsfälle betrafen körperliche Gewalt, 76 Prozent psychische Gewalt, 32 Prozent sexuelle Gewalt - wobei es oftmals zu mehren Delikten gleichzeitig kam. Der Großteil der Betroffenen war in der Zeit des Übergriffes sechs bis zwölf Jahre alt (61,1 Prozent), 23,2 Prozent waren 13 bis 18 Jahre alt.

Entschaedigung von Missbrauchsopfern
Entschaedigung von MissbrauchsopfernAPA

"Wirksame Hilfe für alle Betroffenen, Aufarbeitung der Fälle, konsequente Maßnahmen gegenüber Tätern und vor allem die Prävention müssen weiter im Mittelpunkt stehen", sagte die "Opferschutzanwältin" Waldtraud Klasnic in einem Statement zur APA. Die öffentliche Diskussion sei ein steter Weckruf und trage zur unbedingt notwendigen weiteren Sensibilisierung bei: "Im Kampf gegen Missbrauch und Gewalt kann und darf es keinen Schlussstrich und kein Erlahmen geben. Opferschutz und Menschenwürde müssen absoluten Vorrang haben."

Als in den ersten Monaten des Jahres 2010 massiv Missbrauchsfälle im Bereich der katholischen Kirche bekannt geworden waren, bat Schönborn die frühere steirische Landeshauptfrau Klasnic, "Opferschutzanwältin" zu werden. Sie stellte eine ehrenamtlich Kommission zusammen, der etwa die Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes, Brigitte Bierlein, der Psychiater Reinhard Haller und der langjährige Präsident des Wiener Stadtschulrates, Kurt Scholz, angehören.

Opfer-Plattform fordert Gedenkstätte

Indes fordert die Plattform Betroffener kirchlicher Gewalt eine Gedenkstätte für Opfer von Missbrauch in kirchlichen Institutionen. "Es gehört unbedingt eine Erinnerungskultur her", sagte deren Obmann Sepp Rothwangl im APA-Interview. Den jüngsten Bekenntnissen von Kardinal Christoph Schönborn schenkt Rothwangl keinen Glauben, auch die Arbeit der Klasnic-Kommission stellt er weiterhin infrage.

Vor nicht ganz zehn Jahren hat sich die Plattform als Reaktion auf das Bekanntwerden etlicher Missbrauchsfälle in der römisch-katholischen Kirche gegründet. Knapp später wurde Rothwangl, der selbst Betroffener von sexuellen Übergriffen ist, Vorsitzender. Es sei damals eine regelrechte Lawine losgebrochen, erinnert er sich. Deswegen habe man eine Anlaufstelle gegründet und eine Hotline eingerichtet - und damit bisher Hunderte von Fällen betreut.

Erst danach, im Frühling 2010, gab Kardinal Christoph Schönborn die Einrichtung einer "Opferschutzanwaltschaft" unter der Leitung der ehemaligen steirischen Landeshauptfrau Waltraud Klasnic bekannt. Von Beginn an war diese Kommission für Rothwangl unglaubwürdig, denn: "Es geht dabei um die Kontrolle der Opfer." Konsequenzen für die Täter habe es bisher keine gegeben. Die Plattform warnt sogar davor, gewisse Fälle zur Klasnic-Kommission zu tragen.

Fordert Verzicht auf Verährung

Was die Plattform von der römisch-katholischen Kirche fordert ist etwa der Verzicht auf Verjährung der Fälle und eine Übergabe der Missbrauchsarchive an die Justiz. "Wenn die Kirche das übernehmen würde, könnte man sagen, das wäre auf Augenhöhe", meint Rothwangl. Wenig Hoffnung hegt er in die anstehende Missbrauchs-Synode in Rom: "Es werden wahrscheinlich wieder die üblichen Entschuldigungen kommen. Es schaut nicht so aus, dass angemessen entschädigt wird."

"Es gibt keinen einzigen Gedenkstein in ganz Österreich für diese Verbrechen", fordert Rothwangl zudem Erinnerungskultur ein. Für den Obmann der Betroffenen-Plattform handelt es sich bei den kirchlichen Missbrauchsfällen nämlich um "das größte systemische Verbrechen in der Zweiten Republik".

(APA)

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