Frankreich

"Dreckiger Scheißzionist": Gelbwesten-Attacke auf Philosoph Alain Finkielkraut

Alain Finkielkraut gehört zu den bekanntesten französischen Intellektuellen Frankreichs.
Alain Finkielkraut gehört zu den bekanntesten französischen Intellektuellen Frankreichs.(c) APA/AFP/ERIC FEFERBERG
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Aktivisten haben auf der Straße den Philosophen Alain Finkielkraut übel attackiert - im "Presse"-Interview hatte er am selben Tag über Angriffe gegen ihn gesprochen.

Paris. Am "Samstag" hatte er noch im ausführlichen Interview mit der "Presse" über die Gelbwesten und die heftigen Anfeindungen gesprochen, denen er aufgrund seiner Unterstützung Israels ausgesetzt war. Am selben Nachmittag war er dann auf dem Boulevard Montparnasse unterwegs - als Passant und Zuschauer neben vielen anderen. Doch sein Gesicht ist aus den Medien bekannt, wie auch seine pointierte Haltung zu Israel und gegen den Antisemitismus oder den „Rassismus gegen Weiße“ durch junge Muslime aus den Banlieues. Der Philosoph hatte – wie andere Intellektuelle – die Proteste der Gelbwesten anfänglich unterstützt, dann aber kritisiert, dass gewisse Exponenten mit Fake News oder der Verbreitung von Verschwörungstheorien die Bewegung diskreditieren würden. Finkielkraut warf den Wortführern explizit vor, zu wenig gegen den Hass unter den Demonstranten zu unternehmen.

Seine Analyse war eine Prophezeiung, denn genau dieser Hass richtete sich nun gegen ihn. „Rassist“, „Scheißzionist, hau ab!“, ist auf der im Internet zirkulierenden Videoaufnahme zu hören. Und auch „Wir sind das Volk“ und „Frankreich gehört uns“. Es sind mindestens drei Männer mittleren Alters in gelben Westen, die den 69-Jährigen in grober Weise beschimpfen und bedrohen. Da ihr Gesicht nicht maskiert ist, wird man vermutlich sehr bald wissen, wer sie sind und aus welchen Motiven sie den jüdischen Intellektuellen auf derlei Weise attackiert haben.

„Absoluter Hass“

Finkielkraut sagte, er habe „nicht zum ersten Mal diesen absoluten Hass“ gespürt. "Früher wurden Juden als Juden behandelt, sie konnten dieses Attribut annehmen, sogar wie eine Fahne schwenken. Heute werden sie als Rassisten behandelt. Das ist die Situation, in der ich heute lebe", klagte er bereits im Interview mit der "Presse". Einige wären bereit gewesen, ihn zu schlagen, sagte er nach dem Vorfall am Samstag. Finkielkraut dankte im Übrigen den Polizisten, die ihn vor Schlimmerem bewahrt hätten: „Das war eine Pogromgewalt. Ich hätte Angst gehabt, wenn es keine Ordnungskräfte gegeben hätte. Zum Glück waren sie da.“

Der Parade-Intellektuelle, der mit André Glucksmann und Bernard-Henri Lévy die Schule der „Nouvelle Philosophie“ begründet hatte, die politische Debatten entfacht hat, erwähnte aber auch die anderen Gilets jaunes, die sich schützend vor ihn gestellt hätten und ihm eine gelbe Weste geben wollten. Schon bei anderen Anlässen, wie namentlich einer Debatte von „Nuit debout“ auf der Pariser Place de la République, war er von propalästinensischen Aktivisten als Persona non grata von der Versammlung ausgeschlossen worden. Finkielkraut hat darauf verzichtet, eine Strafklage einzureichen, doch die Pariser Staatsanwaltschaft hat eine Voruntersuchung eingeleitet, um die Schuldigen zu identifizieren und zur Rechenschaft zu ziehen.

Kalkül der Regierung

Der neuerliche Angriff auf die Person eines umstrittenen Philosophen wird in Frankreich von links bis rechts einhellig verurteilt. „Man kann Finkielkrauts Ideen ablehnen, doch nichts kann es rechtfertigen, ihn als Juden anzugreifen“, erklärte der Kommunist Ian Brossat (PCF). Louis Aliot vom rechtsextremen „Rassemblement national“, dem früheren Front National, schrieb auf Twitter: „Diese Beschimpfungen sind absolut niederträchtig. Was für eine Bande von Dummköpfen!“

Auch Präsident Emmanuel Macron bekundete mit aller Entschiedenheit seine Solidarität: „Die antisemitischen Beleidigungen stellen infrage, was wir sind und was aus uns eine große Nation macht.“ Als Sohn polnischer Einwanderer und Holocaust-Überlebender sei Finkielkraut „ein Symbol dafür, was die Republik jedem ermöglicht“.

Regierungssprecher Benjamin Griveaux spitzte den Vorfall indessen in unnötiger Weise noch zu. Er behauptet, Finkielkraut sei als „Dreckjude“ attackiert worden – was sonst jedoch niemand gehört hat. Griveaux möchte nur zu gern und nebenher die lästige Bewegung der Gelbwesten insgesamt desavouieren.

Für solche allzu durchsichtigen Manöver einer überforderten Staatsführung ist aber der Antisemitismus in Frankreich tatsächlich zu gravierend. Die Fakten und die kürzlich publizierten Zahlen einer deutlichen Zunahme (um 74 Prozent) der antisemitischen Gewalt sind bedenklich genug.

>>> Interview mit Alain Finkielkraut: „Auch die alte Welt hat ein Recht zu leben“ [premium]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.02.2019)

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