Der Franzose Frédéric Martel veröffentlicht sein Buch "Sodoma" just zu Beginn der Kinderschutzkonferenz in Rom. Er befragte zahlreiche Quellen im Vatikan. Die Situation sei unter Benedikt XVI. außer Kontrolle geraten.
Kurz vor dem Gipfel zu Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche sorgt auch das Tabu-Thema Homosexualität im Vatikan für Gesprächsstoff. In einem neuen Buch wird der Vatikan als eine der "größten Schwulen-Gemeinschaften der Welt" bezeichnet.
Der französische Autor Frédéric Martel hat für sein Werk "Sodoma" vier Jahre recherchiert und mit rund 1500 Personen innerhalb und außerhalb des Vatikans gesprochen. Das Buch erscheint am Donnerstag - genau an dem Tag, an dem die Kinderschutzkonferenz in Rom beginnt.
Sein Buch handle von einem Staatsgeheimnis, von dem eigentlich viele wüssten, über das aber nur wenige sprächen, sagte Martel vor wenigen Tagen dem französischen Sender TF1. Für das Buch habe er auch mit mehreren Kardinälen und Bischöfen gesprochen.
Martel sagte, er bezweifle, dass es in dem bekannten Schwulenviertel The Castro in San Francisco so viele Homosexuelle gebe wie an der Spitze der katholischen Kirche. Einer der Befragten habe ihm gesagt, 80 Prozent der Männer im Vatikan seien schwul. Auch in der engsten Umgebung des Papstes gebe es viele Homosexuelle. Die Geistlichen seien gefangen in einem System, das vor langer Zeit dazu aufgebaut worden sei, das Geheimnis der Homosexualität im Vatikan zu schützen.
System der Heuchelei
Bereits der ehemalige Papst Benedikt XVI. hatte von schwulen "Seilschaften" im Vatikan gesprochen. Dabei sei dessen Pontifikat "das schwulste der Geschichte" gewesen, wird der polnische Priester Krzysztof Charamsa in dem Buch zitiert. Charamsa outete sich selbst als schwul und wurde daraufhin von seinem Dienst suspendiert. In dieser Zeit sei versucht worden, "die schiere Existenz der Homosexualität mit Homophobie zu verbergen", zitiert die "Zeit" aus dem Buch. Dabei habe auch Benedikts Staatssekretär, Kardinal Tarcisio Bertone eine Rolle gespielt. "Je höher hinauf man während des Pontifikats Benedikts XVI. in die Hierarchie des Vatikans blickte, desto mehr Homosexuelle fand man."
Immer wieder wird darüber diskutiert, ob es einen Zusammenhang zwischen Homosexualität und Missbrauch durch Geistliche gibt. Laut einer Studie der Deutschen Bischofskonferenz sind Buben weit häufiger Opfer von Missbrauch geworden als Mädchen. Homosexualität könnte aber genauso wie das Zölibat - also die Ehelosigkeit von Priestern - nicht per se als Ursache für sexuellen Missbrauch gelten, heißt es in der Studie.
Aber: "Das komplexe Zusammenspiel von sexueller Unreife, abgewehrten und verleugneten sowie die zum Zeitpunkt der Berufswahl möglicherweise latenten homosexuellen Neigungen in einer ambivalenten, teilweise auch offen homophoben Umgebung könnte (...) eine weitere Erklärung für das Überwiegen männlicher Betroffener beim sexuellen Missbrauch durch katholische Kleriker bieten."
>> Die "Zeit" hat vorab Auszüge aus dem Buch veröffentlicht und übersetzt
(APA/dpa)