Falsche Rechnung? Der böse Computer war's!

Seidler
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Bei Beschwerden haben Unternehmen neuerdings eine probate Ausrede gefunden: den "Systemfehler". Böse Zungen sprechen von "Fehler mit System".

Hoppla – da scheint sich über die Jahre eine echte Goldgrube aufgetan zu haben. Suchen Sie doch mal im Internet nach „Umgang mit Kunden“, Sie werden staunen: Etliche Consultingunternehmen bieten (nicht gerade budgetfreundliche) Seminare zu dem Thema an. Mit recht reißerischen Titeln, man will sich ja schließlich von der Masse abheben. „Nicht ärgern! Umgang mit schwierigen Kunden“, nennt sich zum Beispiel ein Seminar. „Crashkurs in Business Etikette“, ein anderes. Auch recht einprägsam: „Hilfe, wie verhalte ich mich richtig bei Kundengesprächen“.

Ja, die Kontaktaufnahme mit dem gemeinen Kunden ist ein einziges Minenfeld. Der ist in der Regel erstens ignorant und zweitens verwöhnt – so er auf Shoppingerlebnisse in den USA zurück blicken kann. Diese aufgesetzt fröhlichen Amis verderben ja alles und jeden: immer höflich, immer zuvorkommend, immer devot. Ärgern tut sich dort jedenfalls niemand – weder die Verkäufer, noch die Konsumenten. Ein einziges lächelndes Disneyland.

Ist man dann wieder in der „freien Wildbahn“, wird es natürlich schwierig. In Österreich beispielsweise. Hier regiert schon lange die Devise: Schuld hat - so es ein Problem gibt - zunächst einmal der Kunde, und dann kommt lange nichts. Wenn überhaupt. 50 Dekagramm Mortadella statt der verlangten 15 Deka an der Wursttheke? Die Angestellte hinter ebendieser Theke weiß es genau: „Sie haben 50 Deka gesagt!!!“ Ende der Debatte. Ein Großer Brauner statt der georderten Melange? Genau: Der Kaffeehausbesucher wollte es nicht anders. Wüsste er, was sich gehört, würde er sich auch stante pede entschuldigen.

Mühsame Spezies

Wir alle haben uns über die Jahre damit arrangiert: Kunden sind halt eine mühsame Spezies. Bestellen das Falsche, gehen mit den erworbenen Produkten nicht richtig um, kennen sich schlicht und einfach nicht aus. In Wien, jedenfalls. Denn zuletzt haben Leser dieser Kolumne empört darauf hingewiesen, dass es ausschließlich Wiener Verkaufspersonal ist, das zum Granteln neigt.

Soll sein. Ist aber eh egal, weil mittlerweile zeitigen die eingangs beschriebenen Seminare offenbar reiche Früchte. Immer öfter hört man, dass Kunden ohne Schuldzuweisungen leben dürfen. Wie das? Nennen wir es doch einfach eine „österreichische Lösung“. Heißt: alle sind zufrieden.

Dazu ein Erlebnisbericht, wenige Tage alt, vorgetragen von Frau L. Die Dame lebt in Wien (!) und ist seit Jahren Kundin der Wien Energie. Neulich hat Frau L. ihre Jahresabrechnung bekommen und hatte allen Grund zu Freude: Sie war nämlich offenbar mit ihrem Energieverbrauch zu hoch eingestuft worden und hatte ein sattes Guthaben.

Die Überraschung folgte aber auf dem Fuß: Denn die neue Einstufung war höher als die bisherige. Frau L. rief also bei der Wien Energie an und erlebte dort ihr Wiener Wunder: Die Kundin traf nämlich keinerlei Schuld. Also war dem Unternehmen ein Fehler unterlaufen? Naja, wir wollen ja nicht übermütig werden.

Nein, Frau L. wurde freundlich mitgeteilt, dass es sich „um einen Systemfehler handelt“. Genau: Der böse Computer ist Schuld! Welch salomonische Lösung: Der Kunde ist (irgendwie) besänftigt, der Verkäufer/Berater kann sich in den Spiegel schauen, und von einem Computer, der sich ungerecht behandelt fühlt, ist noch nichts überliefert.

Systemfehler oder Fehler mit System?

Das ist ausbaufähig, wie uns auch Herr S. berichtet. Der hatte von seinem Handynetzbetreiber Mahnungen (inklusive Mahnspesen) erhalten, für eine Rechnung, die längst bezahlt worden war. Nach langem Hin und Her und durchaus harschem Mailverkehr war das Unternehmen schließlich bereit, die Sache zu vergessen. Erraten: Es habe sich um einen „Systemfehler“ gehandelt. Und nicht um einen Fehler mit System, wie manch böse Zunge behaupten würde.

Ende gut, alles gut. Nur die Seminaranbieter sollten sich schön langsam nach einem neuen Betätigungsfeld umsehen.

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