Frankreich: „Emigriert nach Israel“

Die französische Polizei dokumentiert die Schändung des jüdischen Friedhofs von Quatzenheim.
Die französische Polizei dokumentiert die Schändung des jüdischen Friedhofs von Quatzenheim.(c) REUTERS (Vincent Kessler)
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Nach zahlreichen antisemitischen Übergriffen schockiert nun eine Grabschändung das Land. Ein israelischer Minister ruft französische Juden auf auszuwandern.

Paris. Mit hellblauer und mit leuchtend gelber Farbe waren auf Grabsteine, Gedenktafeln und das Friedhofstor Hakenkreuze gesprüht worden: Etwa 80 Gräber auf dem jüdischen Friedhof von Quatzenheim, einer kleinen Gemeinde im Elsass, die früher einmal eine große jüdischen Gemeinde hatte, sind von Unbekannten vermutlich in der Nacht auf Dienstag geschändet worden.

Während Frankreichs Präsident Emmanuel Macron den Friedhof am Dienstagnachmittag besuchte, rief der israelische Minister für Einwanderung, Joav Gallant, französische Juden zur Auswanderung nach Israel auf. „Erinnerungen an die dunklen Zeiten in der Geschichte der Juden“ würden geweckt, so der Minister. Die jüdische Gemeinde in Frankreich sei „antisemitischen Attacken“ ausgesetzt. „Ich rufe die Juden auf: kommt heim, emigriert nach Israel“, so der Minister.

Frankreich hat tatsächlich ein großes Problem mit dem Antisemitismus. 2018 hat die Zahl der bekannten antisemitischen Übergriffe, die von Beschimpfungen und Belästigungen bis zu physischer Gewalt reichen, um 74 % zugenommen. Noch am selben Tag, als diese Zahl bekannt gegeben wurde, sind in Paris zwei Porträts der vormaligen Ministerin und KZ-Überlebenden Simone Veil mit Hakenkreuzen übermalt worden, und in einem Vorort der Hauptstadt wurde die Gedenkstätte für Ilan Halimi, der 2006 von einer antisemitischen Bande zu Tode gefoltert worden war, von Unbekannten verwüstet.

Am letzten Samstag wurde der jüdische Philosoph Alain Finkielkraut am Rande einer Demonstration der „Gilets jaunes“, der „Gelbwesten“, von mehreren Männern beschimpft und bedroht. Einer der besonders eifrigen und vehementen Angreifer wurde nach Angaben des Innenministeriums identifiziert. Er soll aufgrund seiner Kontakte zu radikal-islamistischen Kreisen der Polizei bekannt sein. Doch der Antisemitismus hat in Frankreich viele Gesichter. Die vom Antizionismus und der Solidarität mit den Palästinensern abgeleiteten Ressentiments sind nur eine Variante. Auch in der extremen Rechten ist er weiterhin stark verbreitet. Die sozialen Netzwerke stellen diesen Kreisen, die mit Leuten wie Alain Soral oder Dieudonné über prominente Exponenten verfügen, neue Instrumente zur Verfügung, um mit absurden Verschwörungstheorien ein breites Publikum zu erreichen.

Kundgebungen gegen Antisemitismus

Frankreich verfügt seit Langem über eine klare Gesetzgebung, die es erlaubt Anstiftung zu Rassenhass in jeder Form und auch die Verharmlosung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie den Holocaust oder die Leugnung der Gaskammern strafrechtlich zu verfolgen. Doch das reicht offenbar nicht. Derzeit wird in der Nationalversammlung über eine Ausweitung der Strafrechtsbestimmungen diskutiert.

Einig sind sich heute jedoch (fast) alle Parteien: Am Abend fanden in vielen Städten und vor allem in Paris Kundgebungen gegen den Antisemitismus unter dem Motto „ça suffit!“ („Jetzt reicht's!“) statt. Alle Parteien bis auf die rechte „Rassemblement national“ riefen zu einer einheitlichen Kundgebung auf dem Pariser République-Platz auf. (r.b., red.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2019)

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