Ein Mord, der die Slowakei verändert hat

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Vor einem Jahr starb der slowakische Investigativ-Journalist Jan Kuciak. Zwar stürzte die Regierung nach Massenprotesten, doch es herrscht weiterhin nur trügerische Ruhe im Land.

Ein Jahr nach dem brutalen Mord am jungen Investigativ-Journalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten Martina Kusnirova ist in der Slowakei scheinbar wieder Ruhe eingekehrt. In den Straßen gibt es seit Monaten keine Massenproteste mehr, das Leben hat wieder seinen normalen Lauf genommen. Doch freilich ist dies eine trügerische Ruhe, im Land brodelt es weiter.

Der Doppelmord hat die Slowakei unwiderruflich verändert. "Es war sicherlich ein Schlüsselmoment", erklärte Arpad Soltesz, Chef des kürzlich eröffneten Investigativ-Zentrums Jan Kuciaks (ICJK) der APA gegenüber. Vor allem die Stimmung in der Gesellschaft sei jetzt wesentlich anders. "Als ob den Menschen ihre eigene Kraft bewusst geworden wäre", so Soltesz. So seien die Slowaken nach dem Doppelmord demonstrieren gegangen, obwohl sie das sonst eher nicht täten.

Erst vier Tage nach der Bluttat, am 25. Februar 2018, wurden die beiden nur 27 Jahre alten Opfer in ihrem Haus in Velka Maca erschossen aufgefunden. Nur wenige Stunden später sorgte das vermutliche Motiv für breites Entsetzen. Allem Anschein nach hänge das Verbrechen mit der Arbeit des Aufdeckreporters zusammen, verkündete der damalige Polizeipräsident Tibor Gaspar. Das versetzte das Land in einen Schockzustand, der schnell in eine Welle von Solidarisierung mit den Opfern und Widerstand gegen politisch Verantwortliche überging.

Massenproteste brachten Regierung zu Fall

Die von Jan Kuciak aufgedeckten Verflechtungen Mafia-naher italienischer Unternehmer aus der verarmten Ostslowakei bis zu höchsten Ebenen der slowakischen Regierung trieben tausende Slowaken auf die Straße. Die spontan gegründete Bürgerbewegung "Für eine anständige Slowakei" organisierte Woche für Woche die größten Massenproteste seit der Wende, die schließlich die Regierung des dreimaligen Premierministers Robert Fico zu Fall brachten. Ein neues Kabinett unter dem jungen Sozialdemokraten Peter Pellegrini sollte das Vertrauen der Bürger in den Staat wiederherstellen, eine neue Polizeileitung gründliche Aufklärung des Mordes sichern.

Nach und nach folgten aber immer weitere, wohl noch schwer wiegendere Enthüllungen slowakischer Journalisten, zusammengeschlossen in der Initiative All for Jan. Sie hatten sich zum Ziel gemacht die Arbeit des ermordeten Aufdeckjournalisten fortzusetzen. Und berichteten von Mafiapraktiken im Staat, weitreichender Korruption, nahezu gewerbsmäßigem Steuerbetrug einiger superreicher Oligarchen mit guten Kontakten zu Polizei, Staatsanwaltschaft und hoher Politik, die faktisch unantastbar waren.

"Der Mord an Kuciak und die Informationen, die danach an die Öffentlichkeit gelangt sind, zeigten, dass auch hohe Polizeifunktionäre direkte Anbindungen hatten zu Oligarchen, die am Staat profitierten", meinte Zuzana Petkova im Gespräch mit der APA. Die Ex-Journalistin ist Chefin der Stiftung gegen Korruption, einer NGO, die für Transparenz staatlicher Institutionen kämpft.

Todesschütze sitzt in U-Haft

Sogenannte große Korruption bei staatlichen Ausschreibungen und im Zusammenhang mit hoher Politik sei auch weiterhin ein extremes Problem, meinte sie. Dabei habe die Slowakei eine der besten Gesetzgebungen gegen Korruption überhaupt. Das Problem liege oft vielmehr in der Einstellung von Polizei und Staatsanwaltschaft. Jetzt habe sie aber wieder Hoffnung, da nach dem Kuciak-Mord Veränderungen eingeleitet worden seien. "Der neue Polizeipräsident Milan Lucansky scheint ja die Ermittlungen des Kuciak-Mordes, wie auch zusammenhängender Korruptionsfälle voranzutreiben."

Investigativ-Journalist Soltesz stimmt dem zu. "Auch bei Polizei, Staatsanwaltschaft, Gerichten gibt es viele anständige Menschen. Jetzt können sie wieder frei arbeiten, Ergebnisse sehen wir schon," sagte er. Nach sieben Monaten führten die Polizeiermittlungen im Kuciak-Fall tatsächlich zu ersten Verhaftungen. Der Todesschütze, sein Helfer und zwei Mitorganisatoren sitzen in Untersuchungshaft. Der eigentliche Auftraggeber ist allerdings offiziell noch nicht bekannt. Obwohl laut Medienberichten alle Indizien inzwischen auf den Oligarchen Marian Kocner zeigen, wurde dieser noch nicht überführt. Er sitzt wegen Verdacht auf Wirtschaftskriminalität in einem anderen Fall hinter Gittern.

Auch auf politischer Ebene zeichne sich so einiges ab. "Es ist schon klar, dass der neue Premier eine etwas andere politische Kultur pflegt, auch freie Medien attackiert er nicht so hart, wie sein Vorgänger," meint Petkova. Tatsächlich habe sich aber die Situation der Medien nicht wirklich verbessert, widerspricht ihr Kollege Soltesz. Man sehe immer öfter, dass Politiker erneut Journalisten attackieren. Nachdem sich der Einsatz von grober Gewalt als äußerst kontraproduktiv gezeigt habe, dürfte wohl niemand mehr einen Journalisten-Mord für eine gute Idee halten. "Ich fürchte eher diese ständige Aufstachelung", sagt Soltesz dennoch.

Populisten, sowohl aufseiten der Koalitionsregierung als auch der bürgerlichen Opposition, arbeiten ständig mit den niedrigsten Emotionen wie Hass und Angst, was sich auch in der Flüchtlingsfrage zeigte. "Faschismus ist keine Schande mehr, er wird zum Mainstream", so Soltesz. Da kann einmal der Tag kommen, dass ein Journalist einfach von Betrunkenen auf der Straße geschlagen oder getötet wird, nur weil sie ihn erkannt hätten, warnt er.

Auch für Peter Bardy, Chefredakteur von aktuality.sk, für die Kuciak vor seinem Tod arbeitete, hat sich in dieser Hinsicht kaum etwas geändert. Obwohl es kurz nach dem Doppelmord schien, Politiker würden verantwortungsbewusster agieren. "Kaum hat der öffentliche Druck etwas nachgelassen, kommen sie aber mit einem neuen Pressegesetz, dass Freiheit demokratischer Medien einschränken soll," klagte Bardy.

Fico zieht weiter die Fäden bei Smer

Die weiterhin regierende Koalition der Smer, der rechtspopulistischen SNS und der Ungarnpartei Most-Hid versucht derzeit ein Recht auf Gegenrede für Politiker durchzusetzen, dass sich auch auf wahrheitsgemäße Äußerungen oder sogar Kommentare beziehen sollte. Im Parlament ist die heftig kritisierte Vorlage bereits in zweiter Lesung. Zudem gebe es Informationen, dass auch eine neue, spezielle staatliche Behörde in Vorbereitung sei, die die Objektivität der Medien beurteilen soll. Dass Journalisten und Medien für Artikel oder Reportagen sanktioniert werden sollten sei gefährlich, betonte Bardy. Man wolle nicht nur im Inland dagegen vorgehen. "Wir sind bemüht auch internationale Organisationen einzuschalten. Ohne internationalen Druck wird sich in der Slowakei nicht viel ändern," sagte er.

Tatsächlich ist auch nach der Regierungsumbildung vergangenes Jahr die Smer von Fico weiterhin stärkste politische Kraft im Land geblieben und legte in jüngster Zeit in den Umfragen sogar zu. Und Robert Fico, der weiterhin Parteichef bleibt, zieht aus dem Hintergrund weiter die Fäden. Viele Beobachter sehen aber schon hinter den Kulissen einen Kampf zwischen seiner alten Garde und der neuen Generation rund um Premier Pellegrini.

Tatsächliche Konsequenzen des Kuciak-Falles für die politische Szene der Slowakei werden sich in vollem Umfang aber erst nach den Parlamentswahlen 2020 zeigen, meint auch Zuzana Petkova. "Es steht aber fest, dass es für Politiker, die eindeutig Verbindungen hatten zu Oligarchen wie Kocner, definitiv aus ist in der Politik", glaubt sie.

Als erster großer Test für die künftige politische Ausrichtung der Slowakei gelten schon die Präsidentschaftswahlen Mitte März dieses Jahres. Umfragen räumen sowohl dem Europakommissar Marek Sefcovic, der als Parteiloser mit Unterstützung der Smer antritt, wie auch den oppositionellen Kandidaten Robert Mistrik und Zuzana Caputova etwa gleich hohe Chancen ein. Auch der kontroverse Stefan Harabin, Richter des Höchstgerichts, bekannt als Kandidat konspirativer Webs und Anhänger des ehemaligen Premiers Vladimir Meciar, ist nicht völlig chancenlos.

Laut Arpad Soltesz hatten die Enthüllungen nach dem Kuciak-Mord eindeutig gezeigt, die Smer stehe der Mafia wirklich nahe. Damit sei sie für die meisten Slowaken wie für europäische Partner nicht annehmbar geworden, denkt er. Paradoxerweise stünde aber gerade die Smer von Fico konsequent für eine proeuropäische Orientierung der Slowakei, während sich ein Großteil der Opposition von ihr abgrenzte und eher europaskeptisch zeigte. "Damit gibt es hier vorerst keine politische Kraft mehr, welche die Slowakei konsequent im Westen verankern würde. Ich fürchte, wir werden jetzt zu einem regulären Mitglied der Visegrad-Gruppe werden", so der Investigativ-Journalist.

(APA)

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