Britische Autoindustrie vor Exodus

Das Honda-Werk in Swindon wird geschlossen.
Das Honda-Werk in Swindon wird geschlossen.APA/AFP/ADRIAN DENNIS
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Honda schließt das Werk in Swindon, Nissan verlagert seine Produktion nach Japan, Jaguar streicht Tausende Jobs. Und das ist erst der Anfang der zu erwartenden Brexit-Folgen.

London. Als in der Nacht auf 24. Juni 2016 Sunderland als eine der ersten Städte das Ergebnis der EU-Volksabstimmung verkündete, ging eine Schockwelle durch Großbritannien: Die Industriestadt im Nordosten Englands hatte mit 61 zu 39 für den Brexit gestimmt. Es war ein Zeichen. Größter Arbeitgeber in Sunderland ist der japanische Autohersteller Nissan, der hier mit mehr als 7000 Mitarbeitern Fahrzeuge für den europäischen Markt herstellt. Als sich Nissan 1984 in der vom industriellen Strukturwandel schwer in Mitleidenschaft gezogenen Stadt niederließ, geschah dies ausdrücklich, weil man „Großbritannien als Sprungbrett in den EU-Binnenmarkt“ sah.

Wenige Wochen vor dem geplanten britischen EU-Austritt am 29. März steigt die Autoindustrie angesichts der Unfähigkeit der Politik, eine Entscheidung zu finden, nun massiv auf die Notbremse. Nissan wird das nächste Modell seines SUV X-Trail nicht mehr in England, sondern in Japan bauen. Obwohl sich die Firma zur Zukunft der Produktionsstätte in Sunderland vorerst bedeckt hält, warnt etwa der prominente Unternehmer Lord Sugar bereits: „Das Werk hat keine Zukunft. Was jetzt droht, ist Massenarbeitslosigkeit.“

Nissan ist nicht allein mit seiner Entscheidung. Der Autohersteller Honda bestätigte diese Woche die Schließung seines Werks in Swindon bis 2021. 3500 Arbeitsplätze gehen damit direkt verloren, mehrere Tausend weitere, von Zulieferern über Servicebetriebe bis zu Dienstleistern, werden ebenso fallen. Der dritte große japanische Autokonzern in Großbritannien, Toyota, prüft derzeit die Zukunft seines Standorts in Burnaston in Nordengland mit 2600 Mitarbeitern und will bis Anfang nächsten Jahres eine Entscheidung treffen.

Doch nicht nur ausländische Investoren überdenken ihre Zukunft. Jaguar Land Rover, in jüngsten Jahren vom ewigen Sorgenkind zur Perle der britischen Industrie emporgestiegen, musste ein massives Sparprogramm mit der Streichung von 4500 von 9100 Arbeitsplätzen ankündigen. Mini, im Eigentum von BMW, plant Produktionsschließungen. Ford, das in Großbritannien heute nur mehr Motoren baut, will mehr als 1000 Jobs einsparen und seine Zukunft im Land „überdenken“.

Dass diese dramatischen Entwicklungen mit dem Brexit zu tun haben, ist nicht von der Hand zu weisen. Viel zu lang haben sich alle in Sicherheit gewogen. Die Regierung sagte Nissan in einer Geheimabsprache fast 70 Millionen Pfund zu. Ein Arbeiter erklärt die Lage in seinem Betrieb so: „Viele von uns haben an die Propaganda der Austrittsbefürworter geglaubt. Zugleich dachten wir: Was kann uns schon geschehen? Nissan hat hier Milliarden investiert, das werden sie doch nicht alles aufgeben.“

Bei einem Brexit ohne Abkommen drohen nicht nur WTO-Tarife von zehn Prozent, die britische Autos auf dem wichtigsten Exportmarkt, in der EU, erheblich teurer machen würden. Der Austritt aus der Zollunion würde auch der internationalen Produktion das Ende bereiten: Derzeit kommen nur 41 Prozent der in britischen Autos verbauten Teile aus dem Land selbst.

In der Entscheidung der japanischen Hersteller spiegelt sich eine der Ironien des Brexit wider. Anhänger des völligen Bruchs mit der EU argumentieren, dass Großbritannien nur so zu einer erfolgreichen Wirtschaftsnation mit bilateralen Handelsabkommen rund um die Welt werden könne. In Wahrheit hat Japan vor wenigen Wochen ein Handelsabkommen mit der EU fixiert. Die Beziehungen mit London sind da keine Priorität mehr. Und noch eine Ironie könnte Großbritannien drohen: Das Land ist weltweit führend in Technologien für automatisiertes Fahren und will schon 2021 fahrerlose Fahrzeuge zulassen. Möglicherweise gibt es bis dahin aber keine Autos aus britischer Herstellung mehr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2019)

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