Im Bazar der Geschlechter: "Mullahs reden gerne über Sex"

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Regisseurin Sudabeh Mortezai über ihre Dokumentation "Im Bazar der Geschlechter" zur schiitischen Institution der Zeitehe: von Doppelmoral und dem Umbruch im Iran.

Verheiratet für mindestens eine halbe Stunde – oder bis zu 99 Jahre, gegen Brautgeld: Für die traditionelle Institution der Zeitehe bei schiitischen Muslimen beruft man sich auf Mohammed. Sie hat Pilgern oder Soldaten ermöglicht, sexuelle Bedürfnisse legal zu befriedigen, wo Unzucht als Kapitalverbrechen gilt. Im Iran ist die Zeitehe angeblich immer populärer, exakte Daten gibt es aber nicht. Der Dokumentarfilm Im Bazar der Geschlechter von Sudabeh Mortezai nimmt die Institution genauer unter die Lupe: In Heiratsbüros schließt man Verträge, die den Tausch von Sex gegen Geld regeln. Ein Mullah doziert gut gelaunt zum Thema, Frauen und Männer sprechen offen über ihre Erfahrungen. Dabei entsteht ein mehrdeutiges Bild: Die Einrichtung kann ebenso für legale Prostitution wie zur Ermöglichung von Freiheiten dienen. Die Benachteiligung der Frau bleibt unbestreitbar, aber auch Männer haben Probleme mit dem System: Einer sucht die Ehe auf Zeit, um eine Wohnung mieten zu können – an Singles will man keine vergeben. In der jüngeren Generation spürt Mortezai einem gewandelten Verhältnis zu Geschlechterrollen nach: Ihr Film ist auch Porträt eines gesellschaftlichen Umbruchs.

„Die Presse“: Wie sind Sie dazu gekommen, einen Film zum Thema Zeitehe zu machen?

Sudabeh Mortezai: Zufällig. Ich erwähnte die Zeitehe gegenüber österreichischen Freunden: Die hatten noch nie davon gehört und fanden das total bizarr. Für mich ist es ja alltäglich, da interessierte mich, was für sie so skurril war: Eben wegen der Vorstellung, im Iran ist alles so rigide und körperfeindlich – wie kann es eine Institution geben, die Prostitution, Promiskuität usw. ermöglicht? Und durch die Zeitehe will ich Geschlechterbeziehungen ansehen: Wie gehen Männer und Frauen miteinander, mit ihren Rollen um?

Das System selbst kann ja durch das Reglement der Zeitehe auf offenen Umgang mit dem weiblichen Geschlechtsleben verzichten.

Mortezai: Genau! Das hat natürlich viel mit Heuchelei und Doppelmoral zu tun, wie bei allen großen Religionen und Systemen: Man will einerseits kontrollieren, was die Menschen tun, weiß andererseits auch, dass man ihnen Ventile lassen muss. Ich sehe die Zeitehe schon sehr kritisch, aber bei ihrer Entstehung war sie auch positiv und pragmatisch gedacht: eine Form, mit Prostitution oder illegalen Kindern umzugehen. Damals gab's ja keine Empfängnisverhütung: dass einen also ein Vater legal anerkennen muss... Das war vielleicht sehr progressiv, auch wenn es heute archaisch wirkt. Seither sind ja auch 1400 Jahre vergangen!

Überraschend am Film ist, wie offen darüber geredet wird, obwohl es da offensichtliche Tabus gibt. Auch da herrscht eine Doppelmoral.

Mortezai: Ja, aber man muss nur schauen, wer locker darüber reden kann und für wen es tabuisiert ist. Dann erklärt sich's von selbst.

Also, der Mullah nimmt's recht locker...

Mortezai: Das überrascht vielleicht aus unserer Sicht, weil man sich kaum einen Pfarrer dabei vorstellen kann. Aber im Islam, zumal im schiitischen Islam, reden die Mullahs immer, sehr offen, sehr gern und sehr explizit über Sexualität, ohne Scheu. Es ist eines ihrer Lieblingsthemen! Mullahs für den Film fand ich leicht: Die sind stolz drauf, verkünden gern, dass der Islam eine so progressive Religion ist, so pragmatisch: Er hat schon die heutigen Bedürfnisse der Menschen miteinkalkuliert. Da ist kein Tabu. Das Tabu ist bei den Frauen. Denen ist das peinlich, da werden sie gleich als Prostituierte gesehen oder einfach als Frau mit loser Moral.

Sie gelten wegen der Zeitehe als stigmatisiert?

Mortezai: Ja, das hat auch mit der bürgerlich-konservativen Kultur und mit dem Bedürfnis, die weibliche Sexualität zu kontrollieren, zu tun. Ganz patriarchal: Eine Frau, die nie verheiratet war, gilt im Iran als Jungfrau, unabhängig von den physischen Fakten. Es darf nicht anders sein. Sie muss erst ihrem Vater gehorchen, heiraten darf sie nur mit dessen Erlaubnis, dann muss sie dem Gatten gehorchen. Das erste Mal, dass sie über ihren Körper entscheiden kann, ist, wenn sie geschieden oder verwitwet ist. Für manche Frauen ist das eine Befreiung: Sie können eine Art von Sexualität ausleben, ohne sich an einen Mann zu binden. Es bleibt aber zweischneidig: Die Zeitehe macht das möglich, trägt aber dazu bei, Frauen auszubeuten. Schwer war es, Frauen für den Film zu finden: Ich hätte das Projekt fast abgebrochen, denn ohne weibliche Perspektive ist das Thema nicht zu behandeln!

Kann der Film im Iran gezeigt werden?

Mortezai: Undenkbar, aus mehreren Gründen! Alleine schon, dass Frauen ohne Kopftuch drin sind, und der Grundton des Films– viele Szenen sind einfach zu kritisch.

Interessant ist der junge Mann, der sagt: „Was schlecht ist für die Frau, ist auch schlecht für den Mann.“ Der hat so eine Idee von Gleichberechtigung. Ein Generationenwandel?

Mortezai: Jedenfalls: Der Junge ist erst 20 Jahre, kommt aus relativ einfachen Verhältnissen. Die neue Generation hat schon geschnallt, dass ihnen die systematische Unterdrückung der Frau nicht nur Privilegien bringt, sondern dass sie dann auch durch das System unterdrückt werden: Wenn die Mädchen nichts dürfen, dürfen die Jungen ja auch nichts. Da seh ich, wie sich ein großer gesellschaftlicher Wandel vollzieht.

Steht im Iran also ein Umbruch bevor?

Mortezai: Definitiv. Die weltweit beachteten politischen Proteste nach den Wahlen 2009 kamen ja nicht aus dem Nichts. Die hatten einen im Westen nur sporadisch wahrgenommenen gesellschaftlichen Hintergrund. Beschäftigte man sich aber mit dem Land, war abzusehen, dass es kommen musste: Es hat sich so viel aufgestaut. Die Frauenbewegung ist richtig aktiv geworden, in Khatamis Präsidentschaftszeit hatten sich viele NGOs gebildet, eine starke Zivilgesellschaft entstand. Präsident Ahmadinejad hat versucht, das wieder zu unterdrücken, zu verbieten, aber es gibt ein schönes persisches Sprichwort: „Wasser, das du ausgeschüttet hast, kannst du nicht mehr aufsammeln.“ Haben die Leute angefangen, zivilgesellschaftliche Dinge zu tun, zu denken, dann geht der Geist nicht mehr zurück in die Flasche. Viele Veränderungen im Inneren sind schon geschehen. Wie Säkularisierung! Viele sind Atheisten, und die Gläubigen haben genug von der Vermischung von Politik und Religion. Eine große Mehrheit im Iran ist mittlerweile für die Trennung von Staat und Kirche. Das Regime kann so viele Waffen auffahren, wie es will, aber den Geist der Leute, wie sie mit ihrem Körper umgehen, mit ihren Werten – das ist von oben nicht mehr zu bestimmen. Die Veränderung in der Gesellschaft ist schon passiert: Was letzten Sommer zu sehen war, war kein Anfang, sondern das war schon im Rollen.

AUF EINEN BLICK

Sudabeh Mortezai(*1968, Ludwigsburg) ist Österreicherin mit iranischen Wurzeln. „Im Bazar der Geschlechter“ ist ihr zweiter Dokumentarfilm nach „Children of the Prophet“.
„Im Bazar der Geschlechter“ wurde am Mittwoch als „Presse“-Premiere im Wiener Gartenbaukino vorgestellt. Ab Freitag, den 16.4., läuft der Dokumentarfilm über
Zeitehe in Wien, Innsbruck und Linz. [Poool]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.04.2010)

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