Venezuela schließt im Streit um Hilfslieferungen Grenze zu Brasilien

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Die Regierung will verhindern, dass von den USA bereitgestellte und von der Opposition geforderte Hilfslieferungen ins Land gelangen. Brasilien lehnt militärische Intervention ab. Indes spitzt sich auch die sanitäre Situation zu, Malaria und Denguefieber breiten sich aus.

Im Konflikt um geplante Hilfslieferungen aus den USA schottet sich Venezuela weiter gegen die Außenwelt ab: Staatschef Nicolás Maduro verkündete am Donnerstag nach einem Treffen mit Armeechefs die Schließung der Grenze zu Brasilien "bis auf Weiteres".

Zuvor hatte die Regierung bereits Grenzübergänge nach Kolumbien mit quer gestellten Containern blockiert. Die Regierung will verhindern, dass von den USA bereitgestellte und von der Opposition geforderte Hilfslieferungen ins Land gelangen.

Brasilien lehnt indes eine mögliche US-Militärintervention in Venezuela ab. Vize-Präsident Hamilton Mourao sagte am Donnerstag, ein militärisches Vorgehen wäre "verfrüht und würde keinen Sinn ergeben". "Die Venezuela-Frage muss von den Venezolanern gelöst werden."

Die USA unterstützen - ebenso wie Brasilien - Venezuelas selbst ernannten Übergangspräsidenten Juan Guaido im Machtkampf mit dem umstrittenen, linken Staatschef Nicolas Maduro. US-Präsident Donald Trump hält sich die Option eines militärischen Vorgehens offen. "Ich denke, das ist mehr im Bereich der Rhetorik als der Aktion", sagte der brasilianische Vize-Präsident und frühere General Mourao dazu.

Unterdessen sagte ein Sprecher der brasilianischen Präsidentschaft, die von Maduro im Konflikt um US-Hilfslieferungen verkündete Schließung der Grenze zu Brasilien werde nicht zu "Friktionen" führen. Brasilien wolle aber logistische Unterstützung leisten, damit Hilfslieferungen aus Brasilien nach Venezuela gelangen könne.

Maduro lehnt Hilfslieferungen der USA ab. Der Linksnationalist bezeichnet sie als "Show" und als Vorwand für eine US-Militärintervention. In der kolumbianischen Grenzstadt Cucuta lagern bereits tonnenweise Hilfsgüter. Eine dortige Grenzbrücke wurde von den venezolanischen Streitkräften blockiert.

Die humanitäre Hilfe für Venezuela ist zum Spielball im Machtkampf zwischen Maduro und der Opposition geworden. Der Oppositionsführer und selbst ernannte Übergangspräsident Juan Guaidó hat der Regierung eine Frist bis Samstag gesetzt, um mehrere Tonnen hauptsächlich von den USA zur Verfügung gestellte Medikamente und Lebensmittel ins Land zu lassen, die bisher in Kolumbien blockiert sind.

US-Hilfe als Täuschungsmanöver

Maduro weigert sich jedoch kategorisch, US-Hilfen anzunehmen. Er sieht diese als Vorwand und Täuschungsmanöver, um den Boden für eine US-geführte Militärintervention zu bereiten. Der inzwischen von rund 50 Staaten, darunter auch Österreich, als Übergangspräsident anerkannte Guaidó brach am Donnerstag mit einem Konvoi von Caracas aus in Richtung kolumbianische Grenze auf, um die Hilfslieferungen ins Land zu holen.

Zuvor hatte Guaidó bekräftigt, die Hilfslieferungen würden auch gegen den Widerstand der Regierung ins Land gelangen: "Die humanitäre Hilfe wird reinkommen, egal was passiert - über das Meer oder auf dem Landweg", sagte er. Wie genau der Übergangspräsident dies durchsetzen will, sagte er allerdings nicht.

In ihrem Kräftemessen planen beide Seiten Großkonzerte an der kolumbianischen Grenze. Auf Initiative des britischen Virgin-Chefs und Milliardärs Richard Branson soll am Freitag in Cúcuta auf der kolumbianischen Seite das Benefizkonzert "Venezuela Aid Live" stattfinden, bei dem Spenden für die venezolanische Bevölkerung gesammelt werden sollen.

Auftreten sollen internationale Stars wie Alejandro Sanz und Miguel Bosé aus Spanien, Juan Luis Guerra aus der Dominikanischen Republik, Juanes und Carlos Vives aus Kolumbien und der durch den Hit "Despacito" bekannte Puertoricaner Luis Fonsi.

Schließung der Grenze nach Kolumbien?

Die venezolanische Regierung kündigte unterdessen ein Konzert unter dem Motto "Hände weg von Venezuela" in nur rund 300 Metern Entfernung auf der Tienditas-Grenzbrücke an. Wer dort auftreten soll, wurde nicht mitgeteilt, das Konzert soll ebenfalls am Freitag starten und drei Tage dauern. "Was sie auf der anderen Seite der Grenze machen ist ihr Problem - wir werden unser Staatsgebiet verteidigen", sagte Diaro Vivas von der Regierungspartei.

"Ich denke auch über die totale Schließung der Grenze nach Kolumbien nach", erklärte Maduro unterdessen. "Ich möchte eine offene Grenze ohne Provokationen und Aggressionen, aber als Staatschef und Oberbefehlshaber der Streitkräfte bin ich dazu verpflichtet, die Ruhe und den Frieden sicherzustellen."

Fußgänger können die Grenze zwischen Venezuela und Kolumbien bisher noch passieren. Jeden Tag kommen Tausende Venezolaner über Fußgängerbrücken nach Kolumbien, um einzukaufen, zum Arzt zu gehen oder zu arbeiten. Zudem nutzen viele Venezolaner die Grenzübergänge nach Kolumbien, um dauerhaft das Land zu verlassen.

Maduro wirft der kolumbianischen Regierung von Präsident Iván Duque immer wieder vor, gemeinsam mit der venezolanischen Opposition und den USA eine Verschwörung gegen seine Regierung zu schmieden. "Ich mache Iván Duque für jede Art von Gewalt verantwortlich, die an der Grenze zwischen Kolumbien und Venezuela ausbrechen könnte."

Maduro hatte am 10. Jänner offiziell seine zweite Amtszeit angetreten. Der größte Teil der Opposition hatte die Präsidentschaftswahl vom Mai 2018 boykottiert und erkennt das Ergebnis nicht an. Vor einem Monat hatte sich der oppositionelle Parlamentspräsident Guaidó bei Massenprotesten zum Übergangsstaatschef erklärt.

Gravierende Versorgungskrise

In Venezuela herrscht seit Jahren eine gravierende Versorgungskrise, obwohl das Land über die weltgrößten Ölvorkommen verfügt. Mehr als 2,3 Millionen Einwohner sind bereits aus dem Land geflohen, wo es an Medikamenten, Lebensmitteln und anderen Artikeln des täglichen Bedarfs fehlt.

"Das ist eine menschengemachte Katastrophe", sagte US-Außenminister Mike Pompeo am Donnerstag im Fernsehsender NBC. "Am Wochenende werden wir versuchen, die Hilfsgüter auszuliefern, für die das amerikanische Volk, unsere Steuerzahler, großzügig bezahlt haben. Wir hoffen, dass wir sie über die Grenze bringen können."

Auch die katholische Kirche rief Maduro dazu auf, die Lieferungen passieren zu lassen. "Das Land braucht humanitäre Hilfe", hieß es in einer am Donnerstag veröffentlichten Erklärung der venezolanischen Bischofskonferenz. "Um Hilfe zu bitten und sie anzunehmen, ist kein Vaterlandsverrat, sondern eine moralische Verpflichtung."

Die Bischöfe appellierten zudem an das Militär, die Lieferungen nicht zu stoppen. "Wir laden die Streitkräfte dazu ein, sich auf die Seite des Volkes zu stellen", hieß es in der Stellungnahme. "Sie sollten keine Befehle befolgen, die sich gegen das Leben und die Sicherheit der Bevölkerung richten."

Krankheiten breiten sich aus

Nun schlagen auch Wissenschafter Alarm, weil in dem krisengeschüttelten Land auch viele Infektionskrankheiten wieder auf dem Vormarsch sind. Das öffentliche Gesundheitswesen ist weitgehend zusammengebrochen, zahlreiche Mediziner haben das Land verlassen, Präventionsprogramme wurden eingestellt. Das hat dazu geführt, dass sich in den vergangenen Jahren Krankheiten, die durch Insekten übertragen werden, schnell ausbreiten konnten, wie es in einer im Fachmagazin "Lancet" veröffentlichten Studie heißt. Dazu gehören Malaria, Dengue-Fieber und das Zika-Virus.

So sei die Zahl der Malariainfektionen von knapp 30.000 im Jahr 2010 auf über 411.000 im Jahr 2017 gestiegen. "Die Zunahme der Malariafälle könnte bald unkontrollierbar werden", warnt einer der federführenden Autoren der Studie, Martin Llewellyn von der Universität in Glasgow. Sie nennen etwa die nachlassende Bekämpfung der Mückenpopulationen und den Mangel an Medikamenten als Gründe für den Anstieg der Infektionen. "Angesichts fehlender Überwachung, Diagnose und Präventionsmaßnahmen unterschätzen diese Zahlen sehr wahrscheinlich noch die wirkliche Situation."

Auch die Zahl der Fälle von Dengue-Fieber und Ansteckungen mit dem Zika-Virus haben sich laut der Studie deutlich erhöht. "Das Wiederaufkommen zahlreicher Infektionskrankheiten führt zu einer Krise des öffentlichen Gesundheitswesens in Venezuela und könnte die regionalen Bemühungen zur Ausrottung von Krankheiten untergraben", schreiben die Autoren der Studie.

Dabei galt Venezuela als Vorreiter im Kampf gegen Infektionskrankheiten in der Region und verfügte lange über ein solides öffentliches Gesundheitswesen. 1961 war Venezuela das erste Land, das von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für malariafrei erklärt wurde. Seit einigen Jahren leidet das einst reiche Land allerdings unter einer schweren Versorgungskrise. Aus Mangel an Devisen kann Venezuela kaum noch Lebensmittel, Medizin und Hygieneartikel einführen.

Katastrophale hygienische Zustände

"Die Lage ist kritisch: Wir haben keine Medikamente, wir haben kein Material", sagte die Internistin Ana Vielma vom Krankenhaus Algodonal in der vergangenen Woche bei Protesten in Caracas. Sie forderte, dass die Regierung des umstrittenen, linken Präsidenten Nicolas Maduro die bereitgestellte humanitäre Hilfe in das Land lassen soll.

An der Grenze zu Venezuela stehen Lebensmittel, Medikamente und Hygieneartikel für die notleidende Bevölkerung bereit. Allerdings lässt Maduro die Lieferungen nicht hinein, weil er sie für einen Vorwand für eine militärische Intervention hält. Der Präsident des von Maduro entmachteten Parlaments und selbst ernannte Interimspräsident Juan Guaido will die Hilfsgüter am Wochenende gemeinsam mit Tausenden Helfern ins Land holen.

"Wir haben noch nicht einmal Chlor, um zu putzen", sagte Mauro Zambrano von der Krankenhausgewerkschaft. "Deshalb vermehren sich die Bakterien. Die Patienten kommen mit einer Krankheit in die Klinik hinein und gehen mit einer anderen wieder hinaus."

Die Gesundheitskrise in Venezuela könnte sich zu einem Problem für die ganze Region ausweiten. Rund drei Millionen Menschen sind bereits ins Ausland geflohen. Im vergangenen Jahr verließen pro Tag durchschnittlich rund 5.500 Venezolaner ihre Heimat - nicht selten dürften sie Krankheiten in die Nachbarländer mitgenommen haben. In der brasilianischen Grenzregion Roraima beispielsweise verdoppelte sich die Zahl der eingeschleppten Malariafälle zwischen 2014 und 2017.

"Wir rufen die Mitglieder der Organisation Amerikanischer Staaten und andere internationale Institutionen dazu auf, den Druck auf die venezolanische Regierung zu erhöhen, damit sie die angebotene humanitäre Hilfe annimmt", sagte Wissenschafter Llewellyn. "Ohne die Bemühungen, könnten die in den vergangenen 18 Jahren erzielte Fortschritte im Bereich der öffentlichen Gesundheitsversorgung bald zunichtegemacht werden."

(APA/AFP/dpa)

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