Aus dem Lift wurde eine Bahn

Die Geschichte vom Einsersessellift darf man den Kindern immer wieder erzählen, die hat einen guten Gruselfaktor.

Es war eisig kalt, man schaukelte einsam im Wind, die bleischweren Skischuhe zogen einen ohne Halt in die Tiefe. Gegen die wachsende Beklemmung half nur verzweifeltes Singen, keinesfalls durften die Augen geschlossen werden, und wenn der Lift stoppte, was er gern über der steilsten Stelle tat, hämmerte das Herz in den Ohren.

Dort, wo der Einser war, ist nun eine Achtersesselbahn, von Lift ist schon lang keine Rede mehr. Die Schlange, die früher trichterförmig nach hinten ausgeufert ist, ist überschaubar, es geht rasch voran. Mit dem Ende des ewigen Wartens sollte auch niemand mehr drängeln müssen. Aber wer als Kind gelernt hat, sich geschickt nach vorn zu schlängeln, kann diese Kulturtechnik nicht einfach so ablegen.

Leider sind die Skifahrer heute streng geworden, und es wird einem zischelnd unterstellt, ein unmöglicher Mensch zu sein. Auch die Hebeltechnik – seine Skier zwischen die des breitbeinigen Vordermanns zu platzieren – endet fast mit Handgreiflichkeiten. Überhaupt darf nirgends angestreift werden, vor allem nicht an den Skiern der anderen. Beim Après-Ski kann es dann nicht nah genug sein. Aber dort tragen die meisten normale Schuhe, das erklärt auch, warum die Leute so gut aussehen – sie waren gar nie auf der Piste.

Früher, erzählt man, und erntet noch mehr böse Blicke, hat es v.a. in der Schleppliftschlange Versuche gegeben, die Bindung des Vordermanns unauffällig zu öffnen, damit er beim Einsteigen einen Ski verliert. Dann hat der Liftwart geschrien und mit dem Einziehen des Skipasses gedroht. Das war wahnsinnig aufregend, denn eigentlich war es eine Kennenlerntaktik. „Das ist aber richtig gemein“, sagen die Kinder. Was da alles passieren könne, wenn man aus dem Lift fliege. Das stimmt. Aber niemand hat gesagt, dass die Menschen früher weniger boshaft waren, sie konnten ihre Taten nur nicht filmen.

E-Mails an: friederike.leibl-buerger@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.02.2019)

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