Europawahl: Viktor Orbán, der wertvolle Mühlstein

Ungarns Regierung greift in ihrer neuesten Anti-EU-Kampagne Kommissionspräsident Juncker persönlich mit Gerüchten an.
Ungarns Regierung greift in ihrer neuesten Anti-EU-Kampagne Kommissionspräsident Juncker persönlich mit Gerüchten an. (c) APA/AFP/ATTILA KISBENEDEK (ATTILA KISBENEDEK)
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Ungarns Regierungschef provoziert seine Parteifreunde in der EU aufs Äußerste. Als Machtfaktor ist er für die Europäische Volkspartei aber zu wichtig.

Brüssel. Mühlstein: So bezeichnet man mittlerweile auch im engsten Kreis um Manfred Weber, den Spitzenkandidaten der Europäischen Volkspartei (EVP) für die Europawahl, den Parteikollegen und ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Dessen Rede vom 10. Februar, in der er unter anderem davor warnte, dass „das Volk von Europa“ an einer „historischen Weggabelung stehe“, in der im Wege der Einwanderung Länder „gemischter Bevölkerungen“ entstünden, woraufhin „die geschichtlichen Traditionen dieser Länder enden und eine neue Welt beginnt“, nahmen die Spitzen der größten Parteiengruppe Europas noch kommentarlos zur Kenntnis.

Weber warnt Orbán

Doch als Ungarns Regierung im Zuge einer neuen Anti-EU-Kampagne begann, Kommissionschef Jean-Claude Juncker zu diffamieren, schrillten in der Chefetage der Christdemokraten die Alarmglocken. „Ich verurteile Ungarns Angriffe und unbegründeten Verschwörungstheorien stark“, teilte Joseph Daul, der französische Vorsitzende der EVP, mit. Juncker sei „ein wahrer Christdemokrat und echter europäischer Führer“. Weber, der die EVP-Fraktion im Europaparlament führt und Juncker nach der Europawahl als Vorsitzenden der Kommission beerben möchte, schaffte es erst am Donnerstag, eigene Worte zu Orbáns Eskapaden zu finden. Der Ungar müsse „erkennen, dass er sich derzeit immer weiter von der EVP entfernt“, sagte Weber zur „Süddeutschen Zeitung“. Teile der eingangs erwähnten Rede Orbáns sowie die Attacken auf Juncker „lösen in der EVP großes Unverständnis und Verärgerung aus“.

Am 6. März tagt die Fraktion der EVP im Europaparlament zur Sache. Erstmals werde es Wortmeldungen geben, die den Ausschluss von Orbáns Partei Fidesz fordern, hieß es aus Parteikreisen auf Anfrage der „Presse“. Die Delegationen der nordischen Länder, der Benelux-Staaten, jene Polens sowie einige deutsche Abgeordnete stünden dahinter.

Doch ungeachtet der prozeduralen Fragen eines möglichen Ausschlusses der Fidesz aus der EVP lässt die realpolitische Betrachtung dies als unwahrscheinlich erscheinen. Das liegt in erster Linie an nüchterner Arithmetik: Fidesz könnte laut derzeitigem Stand der Umfragen am 26. Mai 13 Mandate für die EVP erringen. Damit wäre die ungarische Delegation hinter der CDU/CSU (laut Umfragen derzeit bei 29 Sitzen), der polnischen Platforma Obywatelska (20 Sitze) der spanischen Partido Popular (15 Sitze), der rumänischen Partidul Naţional Liberal (14 Sitze) die fünftstärkste Gruppe – und das, obwohl sie aus einem relativ kleinen Land stammt (die ÖVP liegt in Umfragen derzeit bei sechs Sitzen). Zu den Fidesz-Abgeordneten muss man noch rund zehn EVP-Mandatare aus Kroatien, Slowenien und der Slowakei zählen, die allesamt auf Orbáns Linie sind.

Von der Gruppe der lautesten parteiinternen Orbán-Kritiker (den Benelux-Staaten und Nordländern) winken der EVP voraussichtlich in Summe nur 15 Abgeordnete. Die christdemokratischen Werte treten gegenüber dem Risiko, einen wichtigen Stimmblock zu verlieren, in den Hintergrund.

Das Tory-Trauma

Jenseits dieser Sachzwänge steht zudem die jüngere Parteigeschichte einem Ausschluss der Fidesz im Wege. Vor genau zehn Jahren traten die britischen Konservativen aus der EVP aus und gründeten die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (ECR). Diese Abspaltung hat viele der führenden EVP-Funktionäre tief erschüttert. Angesichts der fragilen, zersplitterten Parteienlandschaft wird die Bildung einer tragfähigen Mehrheit im Europaparlament schwerer als je zuvor. Keine 100 Tage vor der Europawahl scheint somit die Fortsetzung der Doppelstrategie im Umgang mit Orbán wahrscheinlich: Rügen, aber nicht ausschließen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.02.2019)

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