Auf der Krim ging es um Landraub

Gastkommentar. Die Ukraine hatte recht, sich vor Russland zu fürchten. Gedanken, fünf Jahre nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs.

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Seit fünf Jahren wird die Ukraine für ihre Entscheidung, mit Europa zu sein, bestraft. Es ist ein perverser Krieg zwischen Völkern, die viel gemeinsam haben. Allerdings: Es sind russische Waffen, Fahnen, Staatsbürger auf dem ukrainischen Land – und nicht umgekehrt. Daher bitte um Verständnis, wenn Friedensaufrufe „an beide Seiten“ in der Ukraine mit gewisser Skepsis gehört werden.

Ich erinnere mich an die ersten Opfer dieses Krieges. Auf der Krim war es Reschat Ametow, der am 3. März 2014 im besetzten Simferopol gegen die Okkupation protestierte. Er wurde verhaftet, gefoltert und getötet. Im Donbass waren es der ukrainische Offizier Hennadiy Bilitschenko am 13. April und der Lokalpolitiker Wolodymyr Rybak am 19. April; Hennadiy wurde von der russischen Spezialeinheit niedergeschossen, Wolodymyr wurde mit aufgeschlitztem Bauch in einen Fluss gestoßen.

13.000 Tote hat dieser Krieg mittlerweile gefordert, fast zwei Millionen sind auf der Flucht – ein Ozean menschlichen Leids.

Russen haben ihren Stolz . . .

Man kennt die Vorgeschichte: 2013 versucht Russland, die EU-Annäherung der Ukraine zu verhindern. Der Präsident, Janukowytsch, knickt ein – das Volk aber nicht. Nach einer dreimonatigen Auseinandersetzung sterben über 100 Menschen auf dem Maidan. Janukowytsch flieht. Eine neue Regierung kommt. Auf der Krim tauchen russische „grüne Männchen“ auf. Zum ersten Mal in der Nachkriegszeit werden die Grenzen in Europa umgekrempelt. Wochen später werden „grüne Männchen“ in den Donbass entsandt – in der Hoffnung, weitere Teile der Ukraine abzutrennen. So ging der Krieg los. Wie er enden wird, weiß nur derjenige, der ihn angefangen hat.

In diesem Zusammenhang gibt es drei große Illusionen: Illusion eins, die banale – Russland wurde provoziert. „Man hat mich provoziert“, das sind die Worte jedes Vergewaltigers dieser Welt. Warum kauft man Putin etwas ab, was einem Vergewaltiger nicht abgekauft würde? „Die Nato ist zu weit gegangen.“ Die Nato ging so weit, weil die Völker Osteuropas Russland so gut kennen. Es ist heuchlerisch, wenn diejenigen, die der Nato angehören oder sich unter dem Nato-Schirm befinden, auf einmal meinen, die Ukraine hätte auf diesen Schirm keinen Anspruch. Warum? Weil „die Russen ihren Stolz haben“? Den haben die Ukrainer auch. Wenn diese Jahre etwas bewiesen haben, dann dies: Die Ukraine hatte recht, sich vor Russland zu fürchten.

. . . die Ukraine hat den auch

Illusion zwei, die politische – auf der Krim ging es um Selbstbestimmung des Volkes. Dem Kreml ist jegliche „Selbstbestimmung“ egal. Zwei Kriege in Tschetschenien sind Beweis dafür. Einige Teile Sibiriens sind heute zu 75 Prozent von Chinesen besiedelt. Russland würde es sicher nicht gefallen, wenn in diesen Regionen auf einmal „Selbstverteidigungskräfte“ mit chinesischem Akzent auftauchen würden und Selbstbestimmung verlangten. Auf der Krim ging es um einen Landraub, nicht um Selbstbestimmung.

Illusion drei, die strategische – der Westen war Russland etwas schuldig, und die Ukraine muss das ausbaden. Bitte keine Selbsttäuschung. Es ist nicht russische Tradition, in Kategorien des Kompromisses zu denken. Moskau will, schlicht und einfach, sein Stück des globalen Kuchens zurück. Mit weniger als der Rückkehr der Ukraine in die russische Einflusszone wird es sich nicht abfinden. Für die Ukraine ist das, natürlich, keine Option. Wir kehren in Russlands Schatten nicht zurück. Besonders nach dem, was wir zuletzt erlebt haben. Deshalb der unendliche Krieg. Deshalb die Sackgasse in Minsk. Deshalb wird es ohne UN-Friedensstifter keine Lösung geben.

Dr. Olexander Scherba ist seit 2014 Botschafter seines Landes in Österreich.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.02.2019)

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