Thriller: Die Weltwirtschaft als schiefer Turm

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Mit „Gier“ entwirft der österreichische Thriller-Autor Marc Elsberg ein alternatives Wirtschaftsmodell. Das fesselt, aber eben nicht als Thriller. Er hätte besser ein Sachbuch geschrieben.

Die große Stärke des österreichischen Thriller-Autors Marc Elsberg ist es, am Puls der Zeit zu sein. Das hat sich erst Mitte der Woche wieder gezeigt. Da kam es in Berlin zu einem 30-stündigen Stromausfall, der einen Teil der deutschen Hauptstadt kurzzeitig ins vorindustrielle Zeitalter zurückversetzte. Elsberg hat zu diesem Thema bereits vor Jahren den Bestseller „Blackout“ (mehr als 1,5 Millionen verkaufte Exemplare) geschrieben, der sich mit der Frage beschäftigt, was passiert, wenn in Europa flächendeckend der Strom ausfällt. Das hat ihn zu einem begehrten Redner zum Thema Energiesicherheit gemacht. Auch von seinen beiden hochaktuellen Wissenschaftsthrillern „Zero“ und „Helix“ verkauften sich mehrere Hunderttausend Stück.

In seinem neuen Roman „Gier“ macht der Autor nun einen Ausflug in die Ökonomie. Die Welt steht wieder einmal am Abgrund, die Wirtschafts- und Finanzkrise aus dem Jahr 2008 droht sich zu wiederholen, mit noch katastrophaleren Folgen. Weltweit gehen die Menschen auf die Straßen, schreien „Stoppt die Gier“ und „Tod dem Kapitalismus“.

In dieser aufgeheizten Stimmung will der Nobelpreisträger Herbert Thompson in Berlin eine Rede halten, die die Welt verändern könnte. Er will den mathematischen Beweis dafür gefunden haben, wie Wohlstand für alle möglich ist. Doch dann wird er vor den Augen des Krankenpflegers Jan Wutte ermordet, der selbst nur knapp mit dem Leben davonkommt und sich fortan auf der Flucht vor den Mördern befindet. Schon bald sucht auch ihn die Polizei – als Verdächtigen. Gemeinsam mit dem Mathematiker Fitzroy, der sein Talent vergeudet und sich mit dubiosen Münzwurf- und Kartenspielen finanziell über Wasser hält, wird Wutte sich gezwungenermaßen auf die Spur der Formel begeben, für die manche über Leichen gehen.

Ein abrupter Bruch. So weit, so gut. „Gier“ beginnt wie ein typischer Elsberg-Thriller und bleibt das rund 170 Seiten lang auch. Dann jedoch wird die Handlung plötzlich nebensächlich. Schlagartig beschäftigt sich der Autor nur mehr mit der Frage, wie ein ungerechtes und auf Konkurrenz basierendes, globales Wirtschaftsmodell ersetzt werden könnte, sodass alle davon profitieren. Das macht er auf sehr gekonnte Weise, unterstützt durch leicht nachvollziehbare Grafiken, die so aussehen, als wären sie schnell auf einen Schmierzettel oder eine Papierserviette gekritzelt worden. Hier spielt der Recherche-besessene Autor seine zweite große Stärke aus: Komplexe Sachverhalte für jeden verständlich zu machen. Heuristik, Nutzenfunktion, Equilibrium? Elsberg macht es begreifbar.

Schriftstellerisch beginnt es hier aber zu haken. Hauptfigur Jan verkommt endgültig zum ahnungslosen, Fragen stellenden Stichwortgeber: „Was ist das?“, „Was wird das?“, „Worum geht es?“ Seitenlang kommt von ihm nichts anderes mehr. Geduldig helfen Jans Begleiter Fitzroy und Aktivistinnen aus der Antikapitalismusszene, die sich mittlerweile zu dem Duo gesellt haben, dem Unwissenden auf die Sprünge. Das beginnt rasch zu nerven, die Spannung schwindet. Spätestens nun wird die Thriller-Handlung nur noch Ballast. Dass dann auch noch eine Großmutter einer der Aktivistinnen ihren literarischen Auftritt erhält, um durch ihre leicht naive Sichtweise für den Erzähler Elsberg jeweils passende Erklärungen hervorzurufen, macht es nicht besser. Zu konstruiert wirkt das beim Lesen.

Besser als Sachbuch? Elsberg lässt mit seiner Bauernfabel, einem erhellenden Kopf-Zahl-Trickspiel und seinem Vergleich des Weltwirtschaftssystems mit dem Schiefen Turm von Pisa (Wenn nur ein kleiner Teil des Fundaments schlecht ist, wird das ganze Gebäude darüber schief) tolle Bilder im Kopf entstehen. Aber es stellt sich die Frage, ob es nicht besser gewesen wäre, ein Sachbuch zu schreiben. Der Inhalt ist an sich spannend, dazu braucht es das Roman-Vehikel gar nicht. Den Preis für das Wissensbuch des Jahres in der Kategorie Unterhaltung hat Elsberg immerhin schon zweimal erhalten, zuzutrauen ist es ihm also allemal.

Neu Erschienen

Marc Elsberg
„Gier – Wie weit würdest du gehen?“

Blanvalet
448 Seiten
24,70 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.02.2019)

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