Ein ewiges politisches Dilemma: die Anlassgesetzgebung. In eine tatsächlich vorhandene Lücke drängen wieder einmal zu viele und zu voreilig.
Ein Psychologe, der darüber entscheidet, ob jemand präventiv in Haft genommen wird? Auch wenn der Vergleich abwegig ist, so weckt es doch Assoziationen an kommunistische Diktaturen, die Regimegegner psychiatrierten und solcherart wegsperren ließen. Gewiss: Wir haben es heute mit völlig anderen rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen zu tun. Es geht nicht um Regimegegner, sondern um potenzielle Gefährder. Und gedeckt wäre das alles durch den demokratischen Rechtsstaat, fußend auf Verfassung und Grundrechten. Und dennoch: Man würde die Büchse der Pandora öffnen. Denn es kann ja auch einmal eine Regierung an die Macht kommen, die es mit dem demokratischen Rechtsstaat nicht so genau nimmt. Diese hätte dann ein gefährliches Werkzeug in der Hand.
Der Vorschlag der Präventivhaft auch für gefährliche Österreicher – von einem Psychologen bescheinigt, vom Rechtsstaat gedeckt – stammt vom künftigen burgenländischen Landeshauptmann, Hans Peter Doskozil (SPÖ). Als Beispiel führte er die bisherige Handhabe bei der Wegweisung an. Eine Wegweisung ist allerdings noch kein Einsperren.
Und wenn man die rechtlichen Bedenken weglässt, es hat auch vom Politisch-Strategischen her wenig Sinn. Es hätte genügt, wenn Doskozil sagte, man stehe dem ursprünglichen Vorschlag, jenem von Innenminister Herbert Kickl (FPÖ), nicht ablehnend gegenüber, sondern werde sich das einmal ansehen. Das hat Doskozil in der Vorwoche übrigens auch so gesagt. Wieso er das Ganze nun noch um einen Tick weiter dreht, bleibt schleierhaft. Denn das offensichtliche Ziel zu suggerieren, dass die SPÖ, insbesondere die burgenländische SPÖ, auch für Law and Order steht, hätte er auch erreicht, indem er einfach die Kickl-Idee nicht in Grund und Boden verdammt.
Der Innenminister wiederum blieb bei seiner gestrigen Pressekonferenz vage bis rätselhaft. Einen konkreten Plan zur Sicherheitsverwahrung legte er nicht vor. Sondern bot seinerseits noch mehr Anlass zu Spekulationen: Er erklärte zwar, die Präventivhaft auf Asylwerber beschränken zu wollen, die angedachte verfassungsrechtliche Ermächtigung könnte letztlich aber alle treffen.
Es ist und bleibt – ob unter Rot-Schwarz oder Türkis-Blau – ein ewiges politisches Dilemma: die Anlassgesetzgebung. Passiert was, muss erstens wer schuld sein und zweitens ein neues Gesetz her. Bevor nun jemand einwendet, dass es für jedes Gesetz immer einen Anlass gibt: Ja eh, aber es gibt eben noch anlassbezogenere Gesetzgebung. Und zwar unmittelbar nach dem Anlass. Ohne Cooling-down-Phase, die Zeit zum Abwägen und Nachdenken lässt.
Damit haben wir es hier nach dem Fall Dornbirn zu tun. Selbstverständlich ist es ein Problem, wenn der Rechtsstaat eine Lücke lässt, die es einem Straftäter, der bereits des Landes verwiesen wurde, ermöglicht, hier um Asyl anzusuchen. Weil Gründe für eine U-Haft (Flucht-, Verdunkelungs- und erneute Tatbegehungsgefahr) anscheinend ebenso wenig vorliegen wie für eine Schubhaft (für die Zeit vor der Abschiebung gedacht). Der Mann hatte in der Türkei einen Soldaten erschossen, das Asylverfahren war noch im Laufen. Und selbst bei einem negativen Bescheid hätte er als Kurde möglicherweise nicht in die Türkei ausgeliefert werden dürfen. Neben dieser Frage bleibt aber auch jene offen, ob man den Mann, weil ein Mörder, nicht ohnehin in Haft hätte stecken können.
Eine vertrackte Situation also. Dass die Regierung hier eine Lösung zu finden versucht – bei allem politischen Kleingeld, das sich daraus freilich auch schlagen lässt –, ist nachvollziehbar. Dass Hans Peter Doskozil da noch eines draufsetzen muss, allerdings weniger. Denn um bei seinem Beispiel zu bleiben: Bei potenziell gefährlichen Österreichern, die Frauen bedrohen, könnte auch das bestehende Instrument der U-Haft (bzw. deren Ausweitung) greifen.
Die Bundes-SPÖ wählte übrigens die übliche, feige Variante in solchen Fällen: Sie verwies auf eine Arbeitsgruppe, die sich des Themas annehmen soll. In diesem Fall vielleicht gar nicht die schlechteste Variante.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2019)