Tschechien: „Der IWF hat uns definitiv geschadet“

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Tschechien bdquoDer definitiv geschadetldquo(c) EPA
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Fehleinschätzungen, Vernachlässigung interner Standards und zu hohe Kreditzinsen. Miroslav Singer, Vizegouverneur der Tschechischen Nationalbank, übt deutliche Kritik an der Krisenpolitik des IWF in Osteuropa.

wien.Das gegenwärtige Verhältnis zwischen der Tschechischen Nationalbank und dem Internationalen Währungsfonds beschreiben beide Seiten als gut – was banal klingt, war allerdings während des Krisenjahres 2009 alles andere als selbstverständlich. Ein seither beigelegter Konflikt ist in den vergangenen Wochen wieder aufgekommen. Im Gespräch mit der „Presse“ ist Miroslav Singer, Vizegouverneur der Tschechischen Nationalbank, um versöhnliche Töne bemüht, doch auch er betont: „Der IWF hat in der Krise definitiv Fehler gemacht – und diese Fehler haben uns Schaden zugefügt, wie sie übrigens auch Österreich Schaden zugefügt haben.“

Finanzbedarf von 230 statt 89 Prozent

Gemeint ist damit der „Global Financial Stability Report“ von April 2009, eine der wichtigsten Publikationen des IWF, die vierteljährlich erscheint. Die Organisation, zu deren zentralen Aufgaben es gehört, Kredite zu vergeben, betont in dem Bericht die Risiken des Finanzsektors in den Ländern Osteuropas. „Der Bericht hat unseren externen Finanzbedarf mit mehr als 230 Prozent unserer Devisenreserven eingeschätzt. Aber die korrekte Angabe wären 89 Prozent“, sagt Singer. Der Fonds habe auch Arbeitspapiere zu internen Finanzfragen von Banken veröffentlicht und dafür Daten der Bank für internationalen Zahlungsausgleich herangezogen, die in diesem Fall nicht geeignet seien, so Singer.

Doch das sei nicht alles, so der Vizegouverneur der Nationalbank (ČNB) weiter. Üblicherweise würden die Berichte vor Veröffentlichung mit dem Land beraten, das sie behandeln. „Aber in dem Entwurf, den wir kommentieren sollten, haben wir diese Zahl nicht einmal gesehen. Die Zahl war nicht da. Also hat der IWF möglicherweise essenziell seine internen Standards gebrochen.“ Durch den Report entstand der Eindruck, Tschechien und andere Länder Osteuropas seien „ein hoch riskantes Territorium. Anstatt ein Land nach dem anderen gesondert anzuschauen, vermittelten die Papiere des IWF wiederholt den Eindruck, als ob die ganze Region zusammenbrechen würde.“

Die Folgen sind bekannt: Die Konditionen, zu denen sich Osteuropäer Geld leihen konnten, haben sich im Verlauf des Jahres 2009 deutlich verschärft – wobei auch Österreich als Standort großer Bankengruppen der Region Schaden genommen hat.

Daraufhin hat die tschechische Seite Singer zufolge ihre „Kommunikation“ mit dem IWF stark ausgeweitet und sich dagegen gewehrt, dass die neuen EU-Länder oft als ein einziges Ganzes betrachtet werden. Im Verlauf des vergangenen Jahres habe man wieder „gute Arbeitsbeziehungen“ erreicht.

Die aktuelle Debatte hat Singers Kollege losgetreten, der zweiteČNB-Vizegouverneur Mojmír Hampl. Er beschuldigte den IWF, die Krise beschleunigt zu haben. Nach einer Fehlinterpretation der finanziellen Lage osteuropäischer Staaten habe sich der Fonds offenbar bewusst als Kreditgeber ins Spiel bringen wollen. Die Äußerung schlug Wellen, kurz später ruderte Notenbankchef Zdenek Tůma zurück: Dies sei Hampls persönliche Meinung und nicht die Sicht der ČNB, so Tůma laut Reuters. In einer Reaktion meinte auch IWF-Sprecher Gerry Rice, die Annahme widerspreche dem „gesunden Menschenverstand“.

Euro-Einführung frühestens 2015

Das wiederum lässt Miroslav Singer nicht gelten. „Hier wäre seitens des IWF eine ruhigere Reaktion angebracht. Dass sie keinen Fehler gemacht und nur geholfen hätten, stimmt nicht. Die Zinsen auf unsere Schulden sind viel höher, als sie sein sollten.“ Trotzdem sei er „nicht glücklich“ darüber, dass die Debatte wieder aufgekommen ist.

Dass die Risiken in Tschechien weit geringer seien als im Frühjahr 2009 vom IWF beziffert, liege Singer zufolge auch am umsichtig agierenden Bankensystem. Ebenso will Tschechien sich zuerst auf Verbesserungen des Budgets konzentrieren, bevor der Beitritt zur Euro-Zone auf dem Programm steht. „Ich würde sagen, 2015 ist das früheste vernünftig vorstellbare Datum.“

auf einen blick

Der IWF hat Fehler gemacht, betont Miroslav Singer, Vizegouverneur der Tschechischen Nationalbank. Der Fonds habe sein Land 2009 zu Unrecht zum finanziellen Krisengebiet erklärt. Obwohl der Streit beigelegt sei, gebe es noch Probleme: Etwa zu hohe Zinsforderungen des IWF.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.04.2010)

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