Wunsch und Wirklichkeit im Vergaberecht

(c) Clemens Fabry
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Das Vergabegesetz hat mit der jüngsten Novelle wieder einen Feinschliff bekommen. Verbesserungswürdig bleibt es dennoch. Absprachen, Bevorzugungen und ängstliche Bieter seien keine Seltenheit, sagen Experten.

Ob Skylink, Buwog oder die Salzburger Chirurgie West. Gescheiterte Vergabeverfahren machen Schlagzeilen. Dabei kratzen diese missglückten Fälle öffentlicher Auftragsvergabe am Image des österreichischen Vergaberechts - und das ist, glauben viele Rechtsexperten, eigentlich ungerecht. Denn im Grunde ist Österreich „vergaberechtlicher Musterschüler in Europa", sagt Stephan Denk, Rechtsanwalt bei Freshfields Bruckhaus Deringer. Hierzulande hätte etwa bereits längst das Rechtsmittel der Anfechtung der Zuschlagsentscheidung existiert, während Unternehmen in Finnland oder Schweden sich noch danach sehnten.

Die Vorreiterrolle, die Österreich im Vergaberecht gespielt hat, lässt sich leicht erklären. Weil der Verfassungsgerichtshof schon früh viele Vergaberechtsfälle als Vorabentscheidungsverfahren vor den EuGH brachte, „haben wir immer sehr konkrete Antworten bekommen", so Denk. Diese Entscheidungen hätten das Vergaberecht in Österreich vorangetrieben. Gut so, bei einer so wichtigen Materie an der Schnittstelle zwischen öffentlichem und privatem Recht, die für die heimische Wirtschaft (angesichts der teils sehr großen Auftragsvolumina, die von der öffentlichen Hand vergeben werden) und nicht zuletzt für den Steuerzahler einen besonderen Stellenwert hat.
Gerade weil bei öffentlichen Aufträgen an private Unternehmen auch mit Steuergeldern hantiert wird, ist der korrekte Ablauf dieser Verfahren so wichtig. Das „Recht"-Magazin hat bei Vergaberechtsexperten nachgefragt, wie gut das System der öffentlichen Auftragsvergabe heute, 17 Jahre nach Inkrafttreten des ersten Vergaberechtsgesetzes 1993, tatsächlich funktioniert. Das Gros der Experten ist sich einig und der Meinung, das Vergabegesetz sei gut ausgestaltet, entsprechende EU-Richtlinien würden annähernd zeitgerecht umgesetzt. Fast nur ¬positive Worte finden Rechtsanwälte und Unternehmer für die 2002 geschaffene unabhängige Bundeskontrollbehörde - das Bundesvergabeamt (BVA). Die Verfahren würden rasch und meist innerhalb der ohnehin kurzen gesetzlichen Fristen abgewickelt. Nur wenige trauen sich zu sagen, dass das auch daran liegen mag, dass das BVA nicht gerade in Arbeit untergeht: rund 130 bis 160 Beschwerdever¬fahren führt es jährlich.
Damit ist dann auch schon Schluss mit dem Lob. So gut das Gesetz auch ist, so schwach und fehleranfällig ist seine Umsetzung in der Praxis, so der Tenor. Das Vergaberecht biete nach Meinung vieler Rechtsanwälte immer noch genug Schlupflöcher für Unlauterkeit. Kann die jüngste Novelle des Bundesvergabegesetzes 2006, die seit 5. März dieses Jahres in Kraft ist, dagegenwirken oder nicht?

Fast eine Geheimwissenschaft

Die häufigen Novellierungen des Gesetzes werden nicht nur positiv gesehen. „Das Vergaberecht erreicht langsam einen so hohen Detaillierungsgrad, dass es ohne juristischen Beistand kaum mehr bewältigbar ist", sagt Irene Welser, Managing-Partnerin bei der Kanzlei Cerha Hempel Spiegelfeld Hlawati. Anderseits: Kann das der Anwaltsbranche nicht sogar recht sein? Welser denkt aber vor allem an kleinere Unternehmen. Für ein mittelständisches Bauunternehmen oder den Bürgermeister einer kleinen Gemeinde sei dem heimischen Vergaberecht angesichts der vielen Novellen und Änderungen (2009 gab es gleich mehrere Schwellenwertänderungen) nicht mehr beizukommen. „Das Ganze wird immer mehr zur Geheimwissenschaft", sagt sie.
Eine Geheimwissenschaft, die manchmal nach Regeln funktioniert, die in keinem Gesetzbuch stehen. So würde es, erzählen Experten, immer noch zu Missbräuchen bei Vergabeverfahren kommen, denen häufig mit keinem Rechtsmittel beizukommen ist. Ein typisches Szenario sieht so aus: Zwei Bieter stehen kurz vor dem Zuschlagsentscheid. Der eine macht nach objektiven Kriterien alles richtig, der andere nicht. Der eine Bieter beschwert sich bei der ausschreibenden Stelle über den anderen, offensichtlich bevorzugten Konkurrenten. Darauf reagiert die ausschreibende Stelle fast trotzig, indem sie den angeschwärzten Bieter vorzeitig ausschließt und in weiterer Folge den fakultativen Widerruf (§ 139 BVergG) wählt. Sie sagt also: „Weil nun nur mehr ein Bieter im Rennen ist, widerrufe ich das komplette Ausschreibungsverfahren." Der Auftraggeber kann mithin immer widerrufen, wenn ihm etwas nicht passt. Gängig ist auch, kurz darauf eine neue Ausschreibung gleichen Inhalts zu machen, bei der letztlich der ursprünglich gewünschte Bieter den Zuschlag erhält. Die ausschreibenden Stellen steuern das Ganze oft über den Widerruf und basteln die Ausschreibung neu, so lange, bis der Bewerber zum Zug kommt, der gewünscht ist.

Freund und Bieter

Ein anderes Szenario beschreibt der Rechtsanwalt Georg Röhsner, Partner bei Lambert Eversheds Wien: „In vielen Fällen werden schon im Rahmen der Textierung der Ausschreibung Weichenstellungen vorgenommen, die nicht notwendig wären, die das Verfahren aber in Richtung eines bestimmten Bieters drehen." Wenn etwa die Ausschreibung für den Bau einer technischen Anlage so formuliert wird, dass sie bereits auf ein spezielles Produkt zugeschnitten ist, für die nur ein Anbieter eine Exklusivlizenz hat.
Auch Bernt Elsner, Partner bei CMS Reich-Rohrwig Hainz, erzählt Ähnliches: „Die Wahrheit ist, dass bei öffentlichen Ausschreibungen nicht Spekulation, sondern Insiderinformation läuft." Ein Auftraggeber habe es de facto in der Hand, seinem Bieter - oder „seinem Freund", wie Elsner sagt - die spezifischen Detailinformationen anzubieten, die ihn in die Lage versetzen, auf die Ausschreibung abgestimmt zu agieren und damit erfolgreich zu sein. Elsner sagt, er könne leider bestätigen, dass es immer wieder Ausschreibungen gebe, bei denen der Auftraggeber unerwartete Bieter, „die dann doch die Besten sind, obwohl sie es nicht hätten sein sollen", massiv hinausprüft. „Es kann vorkommen, dass beide Bieter genau den gleichen Fehler gemacht haben, und der eine Bieter wird ausgeschieden, der andere bekommt den Zuschlag. Vergaberechtlich kann man nichts dagegen tun."

Auch wenn die Unlauterkeit oft offensichtlich ist, wird nur in den seltensten Fällen dagegen vorgegangen, sagt Röhsner. „Die wenigsten haben etwa den Mut, eine bereits laufende Ausschreibung anzufechten", sagt auch der Wiener Einzelanwalt Florian Keschmann, der zuletzt die bauausführende Gesellschaft beim PPP Projekt Ostregion-Y (A5 und S1) erfolgreich vertreten hat.
Wobei das Bundesvergabeamt in der Praxis andere Beobachtungen macht. Die stellvertretende Vorsitzende des BVA, Viktoria Mugli-Maschek, erzählt, man habe in den vergangenen Jahren einen deutlichen Anstieg bei Ausschreibungsanfechtungen und Ausscheidensbekämpfungen verzeichnet. „Wir rechnen damit, dass die jüngste Novelle dazu führen wird, dass die Bekämpfungen der Ausschreibung weiter ansteigen werden." Weil zeitgleich mit der jüngsten BVergG-Novelle auch die Gebührenverordnung novelliert wurde und es dadurch zu einer massiven Reduzierung der Pauschalgebühren gekommen sei. Mugli-Maschek gibt ein Beispiel. „Im offenen Verfahren bei Dienstleistungsaufträgen im Oberschwellenbereich reduzieren sich die Pauschalgebühren für einen mit einem Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung verbundenen Nachprüfungsantrag von bisher 2400 Euro auf 622,50 Euro."

Generell registriert man bei der Behörde eine größere Bereitschaft der Bieter, für ihr Recht zu kämpfen. Mugli-Maschek hat in ihrem Senat im Vorjahr in zwei Verfahren einen Antrag auf Mutwillensstrafe gehabt. „Für eine solche sieht das Vergabegesetz aber kein Antragsrecht vor." Was jedoch zeigt, wie vehement manche Parteien neuerdings auf ihre Rechte pochen. Dies wiederum könnte auch daran liegen, dass Unternehmen durch die angespannte Wirtschaftslage weniger Aufträge aus der Privatwirtschaft bekommen und somit mehr auf Verträge aus dem öffentlichen Sektor angewiesen sind, glaubt Lukas Bauer, Vergaberechtsexperte in der Wiener Kanzlei Newole. Wer eine Anfechtung eingebracht hat, könne hinterher in der Vorstandsetage zumindest sagen, er habe alles versucht, so Bauer. Der Druck in der Branche ist also insgesamt gewachsen. „Das Ganze wird immer eckiger", sagt die stellvertretende Vorsitzende der Kontrollbehörde. Aber sie streut den Auftraggebern auch Blumen: „Es ist beachtlich, wie gut viele Stellen mittlerweile darin sind, große Ausschreibungen mit enormen Volumina zu stellen und die vielen Angebote dann auch in kurzer Zeit zu prüfen."
Zurück zur jüngsten Novelle. Sie drehe „an bestimmten Schrauben des Vergabegesetzes", sagt Anwalt Denk. Eine dieser Schrauben betrifft den Eignungsnachweis, den ein Bieter in Hinkunft von sich aus mittels Eigenerklärung anbieten kann. „Das erspart der ausschreibenden Stelle viel Zeit und verkürzt das Ausschreibungsverfahren", sagt Manfred Essletzbichler, Partner der Sozietät Wolf Theiss Rechtsanwälte.

Allerdings sollte der Auftraggeber den Eignungsnachweis rechtzeitig prüfen, meint er, sonst könne es auch passieren, dass dem geeigneten Bieter ein wichtiger Nachweis fehle und er so in letzter Minute doch auszusieben sei. Eine weitere Neuerung betrifft die eingeführten Bußgelder, die die Behörde bei rechtswidrigerweise ohne vorherige Bekanntmachung durchgeführten Verfahren verhängen kann. Und zwar in einer Höhe von bis zu 20 Prozent des Auftragsvolumens. Essletzbichler erwartet aber nicht, dass diese Form von Bestrafung oft zur Anwendung kommt, da Bußgelder in den meisten Fällen nur auf Antrag des Auftraggebers als Alternative zum Eintritt der Nichtigkeit des abgeschlossenen Vertrages verhängt werden können. Auftraggeber werden eher bereit sein, eine Neuausschreibung zu akzeptieren, als Bußgeld zu bezahlen.
Auch an ein paar kleineren Schräubchen wurde gedreht. So wurden die Schwellenwerte erneut ein wenig gesenkt: Der Unterschwellenbereich bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen wurde auf 193.000 Euro herabgesetzt, bei Bauaufträgen auf 4,8 Mio. Euro. Im Gegenzug wurde bereits 2009 die Grenze für Direktvergaben deutlich von 40.000 auf 100.000 Euro angehoben. Was viele in der Branche als nicht unproblematisch empfinden. Eine ökologisch vorbildliche Schraube betrifft die neuen Auflagen für Auftraggeber, bei der Beschaffung von Straßenfahrzeugen bestimmte betriebsbedingte Energie- und Umweltauswirkungen zu berücksichtigen.

Kurze Stillhaltefrist

Ein Punkt, der weitgehend für Unverständnis sorgt, ist die Verkürzung der Stillhaltefrist nach der Zuschlagsentscheidung, in der die nicht berücksichtigten Bieter ein Rechtsmittel erheben können. Diese Frist wurde von 14 auf zehn Tage (im Unterschwellenbereich von zehn auf sieben Tage) verkürzt. Damit werde eine unnötige Hürde für Bieter geschaffen, zum Rechtsschutzsystem zu gelangen, sagen viele. So werde die Zeit für eine Anfechtung unverhältnismäßig kurz. „Man hat den Eindruck, dass die Verkürzung dazu dient, die Anzahl solcher Verfahren gering zu halten", sagt Anwalt ¬Röhsner. Lukas Bauer sieht das ähnlich und denkt vor allem an die nicht heimischen Bieter. „Gerade für ausländische Bieter, deren Unternehmenssprache nicht Deutsch ist und deren Einbeziehung in den vergaberechtlichen Wettbewerb mit den europarechtlichen Vorgaben unter anderem bezweckt wird, waren die 14 Tage schon kurz - mit zehn Tagen wird es teilweise geradezu unmöglich, mit den notwendigen Übersetzungsarbeiten rechtzeitig ein Rechtsmittel einzubringen." Auf der anderen Seite würde durch diese Regelung noch schneller Rechtssicherheit für den Auftraggeber und den präsumptiven Zuschlagsempfänger eintreten. „Obwohl . . . ob vier Tage da wirklich so einen Unterschied machen?", fragt er. Angesichts der durchschnittlichen Dauer eines Vergabeverfahrens in Österreich von mehreren Monaten kann das Argument, man wolle mit der Verkürzung der Fristen die Wirtschaft ankurbeln, wohl als Augenauswischerei bezeichnet werden.

Das österreichische Vergaberecht hat also einen kleinen (und sicher nicht den letzten) Feinschliff bekommen. Einiges wird einfacher, einiges wird für Bieter komplizierter. Ob aber menschliche Unzulänglichkeiten bei der Vergabe durch die Feststellung der Nichtigkeit und
die Möglichkeit des Eigennachweises hintangehalten werden, lässt sich schwer sagen. Wenn nur ein Teil der Entscheidungsträger an ausschreibenden Stellen nach denselben Kriterien entscheidet, die sie auch bei privaten Einkäufen heranziehen, würde das schon helfen. Manche Experten bleiben jedenfalls pessimistisch: „Solange es Menschen gibt, wird es Bauskandale geben", sagt einer von ihnen.

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