Deutschklassen: "Die Bedingungen sind ein Wahnsinn"

(c) Clemens Fabry
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Lehrer und Direktoren berichten von kreativer Umsetzung der Förderklassen - sofern ihre Einrichtung nicht schlicht umgangen wurde.

Seit dem Schuljahr 2018/19 müssen Schüler, die die Unterrichtssprache nicht ausreichend beherrschen, eigene Deutschförderklassen besuchen. Tatsächlich werden aber oft gar keine separaten Klassen für diese "außerordentlichen" Schüler eingerichtet, die Bedingungen für die Umsetzung sind zudem ungünstig, berichteten Schulpraktikerinnen anlässlich einer Veranstaltung am Donnerstag in Wien.

Separate Deutschförderklassen sind nach Einschätzung der Wiener Volksschul-Direktorin Gabriele Lener in Ballungszentren nur an einem geringen Teil der Schulen eingerichtet worden. Jene Standorte, an denen nachweislich kein Platz dafür ist, dürfen die Sprachförderung nämlich auch im Abteilungsunterricht anbieten: Die Schüler bekommen die Deutschförderung dann nur stundenweise bei einer Förderlehrerin außerhalb der Klasse, die übrige Zeit sitzen sie beim Deutschlernen in ihrer Stammklasse.

In anderen Schulen seien die Vorschulklassen in Deutschförderklassen umgewandelt worden - mit der Folge, dass es für jene Kinder, die zwar als nicht schulreif gelten, aber kein Problem mit der Unterrichtssprache haben, kein eigenes Förderangebot mehr gibt.

Keine Außerordentlichen gemeldet

Wieder andere Schulen haben die Einrichtung von Deutschförderklassen laut Lener umgangen, indem sie einfach keine außerordentlichen Schüler gemeldet haben. Dadurch konnten die Kinder zwar im Klassenverband bleiben. "Das Ungünstige daran ist aber, dass sie dann keinen Anspruch auf Sprachförderung haben", so Lener.

Im aktuellen Schuljahr mussten alle außerordentlichen Schüler eine Deutschförderklasse besuchen. Wenn nächstes Schuljahr ein Einstufungstest des Ministeriums vorliegt, gilt das nur noch für jene, die die Unterrichtssprache "ungenügend" beherrschen. Wer "mangelhaft" Deutsch spricht, kann dann in der Regelklasse Sprachförderung erhalten. Möglichkeiten, die Separation schulautonom zu umgehen, dürfte es aber weiter geben. Nach Gesprächen mit anderen Schulleitern kann sich Lener vorstellen, dass die Testergebnisse notfalls entsprechend angepasst werden.

Die Gruppen sind zu groß

Auch Esra Akbaba, die in Wien-Meidling an einer Volksschule eine Deutschförderklasse unterrichtet, ist nach dem ersten Semester mehr als skeptisch: Zwar sei es grundsätzlich positiv, dass die Schüler nun 15 statt früher elf Stunden Sprachförderung erhalten. Allerdings würden an ihrer Schule in den Deutschförderklassen zwölf bis 19 Kindern mit höchst unterschiedlichem Wissensstand sitzen. Effektive Sprachförderung sei in einer so großen Gruppe nicht machbar, weil die Kinder nicht individuell betreut werden können und nicht zum Sprechen kommen. "Die für die Kinder gewinnbringendste Lösung wäre in meinen Augen eine permanente Doppelbesetzung in allen Klassen", so Akbaba.

Noch dazu hätten viele Lehrer in den Sprachförderklassen keine entsprechende Zusatzqualifikation, Fortbildung sei wegen der schnellen Einführung nicht möglich gewesen. Ständige Testungen, Sprachstandserhebungen und Screenings würden viel Zeit zum Sprachenlernen kosten, auch der extreme Planungs- und Koordinationsaufwand für die Lehrerinnen und Lehrer stehe in keinem Verhältnis zum Ergebnis. Als Kollateralschaden mussten Schulen außerdem Bibliotheken, Werkräume oder Werkstätten schließen, um Platz für die Deutschförderklassen zu machen, beklagt Akbaba.

Die Einbindung der Kinder in die Regelklasse funktioniert aus ihrer Sicht bei nur sieben gemeinsamen Unterrichtsstunden in der Woche außerdem nur am Papier. In der Praxis beobachte sie "soziale Ausgrenzung": "Kinder der Deutschförderklasse werden sogar verspottet von ihren Mitschülerinnen und Mitschülern, weil sie eine andere Klasse besuchen müssen, um dort 'Deutsch zu lernen'", schildert Akbaba. Dazu laste zusätzlicher Druck auf den Kindern, weil durch die Einführung der Deutschförderklasse die Wahrscheinlichkeit deutlich gestiegen ist, dass man ein Schuljahr wegen Problemen in der Unterrichtssprache wiederholen muss.

Gut gemeint, schwer umsetzbar

"Gut gemeint, aber sehr schwer umsetzbar" findet Martina Dedic, Direktorin der Neuen Mittelschule (NMS) Pfeilgasse, die Deutschförderklassen. Die Ausweitung der Deutschförderung von elf auf 20 Stunden habe auf jeden Fall etwas gebracht, im bisherigen System hätten manche auch nach zwei Jahren als außerordentlicher Schüler die Unterrichtssprache nicht gut beherrscht. Die Bedingungen seien allerdings "ein Wahnsinn".

In der NMS Pfeilgasse etwa sitzen jeden Tag 19 Kinder und Jugendliche von neun bis 13 Uhr gemeinsam im früheren Biologiekammerl, um Deutsch zu lernen. Die Zehn- bis 15-Jährigen, die als Quereinsteiger ins österreichische Schulsystem gekommen sind, hätten dabei völlig unterschiedliches Lerntempo, teils könnten sie noch nicht Lesen und Schreiben und müssten an zwei Tagen die Woche woanders alphabetisiert werden. Unterrichtet werden all die unterschiedlichen Kinder im Deutschkurs von nur einer Lehrerin.

Angesichts dieser Bedingungen, sagt Dedic, werden wohl vier von fünf den MIKA-Sprachtest des Ministeriums nicht schaffen und das Jahr wiederholen müssen. "Man müsste zwei Lehrer in die Klasse stellen."

(APA)

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