Die schönsten Geschichten schreiben die Zahlen

Datenvisualisierung. Im Zahlenmaterial großer Internetdatenbanken liegt so mancher Recherche-Schatz für Journalisten vergraben. Um daraus auf Knopfdruck schlau zu werden, braucht es neue Tools zur visuellen Darstellung.

Natürlich liest Wolfgang Aigner auch Interviews. Mit Nobelpreisträgern, Innenministern, Slalomsiegern. Gedruckt auf Papier oder in einem Onlinemedium, was er gerade zur Hand hat. Noch lieber hat Aigner allerdings Dossiers oder Analysen. Journalistische Formate, für die sich der Verfasser bei der Recherche reinhängt. Die hohen Erkenntniswert bringen. Und für deren Gelingen Journalisten auch immer öfter die Extrameile gehen müssen, wie der Informatiker an der FH St. Pölten weiß: Mit der Informationsexplosion wird die Herausforderung, Daten aufzubereiten, für die Redaktionen größer.

Excel greift zu kurz

Sogar eine neue journalistische Form – die des Datenjournalismus – hat sich herausgebildet, um Lesern mit Wissen aus Internetdatenbanken oder Recherchenetzwerken frische Perspektiven zu liefern. Für den Leser passiert das fast unmerklich. In den täglichen Arbeitsroutinen der Redaktionen aber ist der Umbruch mitunter heftig zu spüren. „In ihren Funktionen überladene Recherchetools sorgen oft für einen schwierigen Einstieg“, weiß Aigner. Mit Informatikkollegen der Uni Wien, dem Institut für Journalismus und PR der FH Joanneum und der Wiener Multimediaagentur Dwh stellte Aigner deshalb im vom BMVIT geförderten Projekt „Valid“ neue Strategien und Werkzeuge für die Datenanalyse auf den Prüfstand. „Im Abgleich mit 44 Praktikern aus den Zeitungs-, Radio- und Fernsehredaktionen“, sagt Aigner. Sie bekamen erstmals im Herbst 2017 die Gelegenheit, sich in mehrstündigen Workshops in Wien, Graz, Linz und St. Pölten im Umgang mit der Datenanalyse zu schulen.

Daten bleiben am Rechner

Denn adressiert wurden hauptsächlich Neulinge im Datenjournalismus, „um Schwierigkeiten für Einsteiger, aber auch erste Anwendungsfälle für Softwareprototypen zu identifizieren“, sagt Aigner. Einer davon ist die im Projekt entwickelte Software Netflower, ein Werkzeug zur visuellen Analyse von Netzwerkdaten, die sich über die Zeit verändern. Ein Beispiel dafür ist die Medientransparenzdatenbank der Regulierungsbehörde RTR. Die Liste der Inseratengelder ist im Internet als Excel-Datei herunterzuladen. „Aber angesichts der schieren Menge an Daten kommt der Journalist mit der Sortierfunktion oder einfachen Formeln nicht weit“, sagt der FH-Forscher.

Hier setzt Netflower an. Einmal importiert, ließen sich für die Datenbasis auf Knopfdruck optisch ansprechend Zahlungsflüsse und deren Veränderung über die Zeit anzeigen. „Man kann gezielt nach Attributen, also beliebigen Beträgen, suchen“, sagt Aigner. Das Interface ist – auch farblich – einfach gehalten. Ein Videoassistent hilft den Einsteigern Schritt für Schritt. „Das System erklärt sich den Anwendern“, schildert Aigner. Sogar an ein eigenes Analysetagebuch hat man gedacht. Damit lassen sich die einmal aufbereiteten Daten zu jedem Zeitpunkt für andere Aufgaben nutzen.

Worauf die Forscher besonders stolz sind: Die Software ist nicht nur auf die RTR-Daten beschränkt. Ebenso gut lassen sich damit Entwicklungshilfegelder oder Transfersummen im Sport untersuchen. Auch Sicherheit schreibt man groß. Anders als bei klassischen Onlinetools verbleiben alle Eingaben und Daten im eigenen Browserspeicher. „Ein wichtiger Punkt“, so FH-Forscher Aigner.

IN ZAHLEN

90Prozent aller weltweit verfügbaren digitalen Daten wurden in den zwei letzten Jahren erzeugt. Dieser Informationsexplosion trägt der Datenjournalismus Rechnung.

4Milliarden Menschen sind heute schon aktive Internetbenutzer. Damit erhalten Datenjournalisten Nahrung: Sie zapfen Internetdatenbanken und Enthüllungsplattformen an.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.03.2019)

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